Sonntag, 26. September 2010

Wir leben in Bäumen und jagen unser Abendessen!

Als ich heute Morgen die Augen öffnete, schien die Sonne warm in mein Gesicht. Dascha war wach. Man hörte es eindeutig. Wieso können Kleinkinder nicht leise bzw. in einer normalen Tonlage sprechen, sondern immer gleich schreien? Meine Gastmutter war natürlich auch wach- immerhin schlafen sie und Dascha im selben Zimmer. Irgendwann verließen sie die Wohnung. Stille durchdrang die Wohnung. Ich schloss meine Augen und widmete mich wieder dem Schlaf, welchen ich dringend benötigte.
Gegen um 11 stand ich auf. Ksjoscha war auch wach. Ich öffnete das Fenster unseres Zimmers. Ein leichter Wind wehte, die Sonne schien warm und hell. Es schien ein wunderbarer Spätsommertag zu werden.
Meine Gastmutter und Dascha kamen nach Hause. Es war gegen 11. Sie waren in der Kirche gewesen und anschließend noch Kleinigkeiten einkaufen. Das war Daschas erster Besuch in einer Kirche- meine Gastmutter platzte vor stolz, zumal sich Dascha vorbildlich verhalten haben soll. Eigentlich scheint meine Gastfamilie kein großer Kirchengänger zu sein- dennoch gläubig. In der Küche stehen Ikonen auf einem Regal und jedes Familienmitglied trägt ein Kreuz um den Hals.
Wir frühstückten. Kurz darauf kam die Schwester meiner Gastmutter zu Besuch. Sie brachte selbst genähte Gardinen im Schlafzimmer an. Sieht wirklich wunderbar aus. Heller blau/grüner Stoff kunstvoll aufgehängt.
Gegen ein Uhr verließen wir die Wohnung und liefen zur Haltestelle. Wir warteten auf eine Marschrutka. Falls ihr euch nicht mehr erinnert: Eine Marschrutka ist ein Kleinbus, der eine bestimmte Strecke abfährt und man überall einen Haltewunsch äußern kann- egal ob Straßenrand oder Haltestelle. Der Fahrer einer Marschrutka fährt und kassiert gleichzeitig ab. Die Dinger sind schneller als ein Trolleybus- eben weil sie nicht überall halten und weil die meisten Fahrer fahren wie vom Teufel besessen. Wenn man möchte, dass eine Marschrutka anhält, um einsteigen zu können, so stellt man sich an eine Haltestelle und winkt betreffender Marschrutka zu. Man weiss übrigens nie, wann eine Marschrutka oder ein Trolleybus (oder sonstiges öffentliches Verkehrsmittel) an betreffender Haltestelle vorbeifährt. Es gibt keine Fahrzeiten wie in Deutschland. Man stellt sich an eine Haltestelle und wartet.
Wir holperten in einem Affenzahn über die Straße. Wir verließen Cheboksary und fuhren nach Nowo Cheboksarsk (Neu Cheboksary). Die Stadt ist gerade mal 50 Jahre alt. Nach 20 Minuten waren wir angekommen. Wir würden heute eine weitere Schwester meiner Gastmutter besuchen.

Uns öffnete eine kleine, freundliche Frau (ca. 1,60m),mit blondierten, kurzen Haaren, in Jeans und Pulli. Wir wurden hinein gebeten. Ksjoscha und ich gingen zunächst in das Zimmer ihrer Tochter. Diese lobte mich für mein Russisch und dass, obwohl ich kaum etwas gesagt hatte.
Wir gingen in die Küche. Es wurde furchtbar viel Essen aufgetafelt. Nudeln, Tomatensalat, Huhn, Rotebeetesalat, Eierkuchen, Brot und Kuchen. Die drei Schwestern unterhielten sich.
Irgendwann richtete die Gastgeberin das Wort an mich. Nach den Standardfragen wie es mir hier gefalle und ob ich meine Familie vermisse bzw. umgekehrt, bat sie mich etwas auf deutsch zu sagen. Ich stellte mich auf Deutsch vor. Sie war begeistert. Sie erklärte Deutsch in der Schule gehabt zu haben und nichts mehr zu können. Plötzlich war das Thema Deutschland angeschnitten. Sämtliche Verwandtenbeziehungen nach Deutschland, Verwandte welche nach Deutschland verreist sind oder Deutsch sprechen können wurden aufgezählt- erstaunlich viele. Dann kamen die Glatteisfragen. Ob meine Großväter im Krieg gewesen wären und wer gewonnen hätte. Meine Gastmutter hatte mich das schon einmal gefragt- ich war also vorbereitet. Mein erster Satz war: „Deutschland hat den Krieg verloren und viele Deutsche finden es schlecht was damals passiert ist.“ In den Gesichtern konnte ich ablesen, dass ich richtig geantwortet hatte. Ich erzählte also weiter, wer nun gewonnen hätte. Meine Gastmutter unterstütze mich und meinte ich wüsste was in der Vergangenheit passiert ist- was wirklich passiert ist. Wieder eine Prüfung erfolgreich gemeistert.
Zu unserer geselligen Runde kam noch der Freund der Tochter, der Schwester meiner Gastmutter hinzu. Er schlug vor, spazieren zu gehen um mir Nowo Cheboksarsk zu zeigen. Also machten sich Ksjoscha, Tochter, Dennis (der Freund) und ich auf die Strümpfe. Ich fragte was es hier Sehenswertes gäbe. Er lachte und meinte. „Nichts! Überhaupt nichts!“ Wir spazierten an Neubaublocks vorbei, über schlechte Wege- eine Art Cheboksary ohne große Geschäfte. Ich Blödi habe natürlich meinen Fotoapparat in der Wohnung gelassen. Wir gingen in einen Supermarkt und Dennis fragte mich, ob wir so etwas in Deutschland auch hätten. Ich antwortete : „Nein wir leben in Bäumen und jagen unser Abendessen selbst!“ Ksjoscha lachte, denn auch sie wusste, dass er nicht der erste war, der mir diese unsinnige Frage stellte. Ansonsten unterhielten wir uns nett. Er ist wirklich lustig und wollte mir zunächst alle russischen Schimpfwörter beibringen. Am Skatepark von Nowo Cheboksarsk machten wir eine Pause und stopften russisches, wahnsinnig leckeres Konfekt in uns. Die Sonne schien immer noch warm- wie ich heute Morgen bereits ahnte war es ein wunderbarer Spätsommertag. Aber die nächste blöde Frage wartete bereits auf mich. Dennis Freundin fragte mich, ob ich mit meiner Familie in Deutschland englisch sprechen würde. Ä…Ä…man weiss manchmal bei solchen Fragen nicht, ob es ernst gemeint ist. Ich bin in solchen Momenten fast sprachlos und frage mich, woher solche Unwissenheit nur kommen kann.

Wieder bei den Schwestern in der Wohnung aßen wir erneut und ich wurde über das deutsche Schulsystem ausgefragt. Mein russisch wurde sehr gelobt- obwohl es nach wie vor schrecklich ist. Während der ganzen Unterhaltung saß Dascha auf dem Schoß ihrer Mutter und fuchtelte mit einem Eierkuchen herum. Ich finde es faszinierend, wie klein ein Mensch sein kann und wie anders die Welt offenbar durch ihre Augen ist.
Bei Anbruch der Dunkelheit verließen wir Nowo Cheboksarsk und fuhren zur Wohnung zurück. Dascha und meine Gastmutter gingen sofort zu Bett. Ksjoscha sah eine Folge „Vampire Diaries“ auf ihrem Laptop und ich schrieb an diesem Blog bis ich wiedereinmal ohne Sandmann ins Bett musste.

Ein ereignisreicher, wunderbarer Spätsommertag ging zu Ende.

Liebste Grüße!


Tagesfazit: „Ich kenne die deutsche Geschichte.“

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