Samstag, 4. September 2010

Samstags auch Schule!


An einem Samstag zur Schule zu müssen ist schon schrecklich, aber an einem Samstag zweimal Geometrie, Bio, Info und Sport zu haben ist der Super-Gau. Ich quälte mich dennoch mit schmerzenden Ohren, schmerzendem Hals, Husten und Schnupfen, in einem vollgestopften Bus, zur Lernanstalt.
Erste Stunde Informatik. Unsere Lehrerin redete wieder von Q Basic Schreibweisen und ich habe das Gefühl kurz davor zu sein zu verstehen, was sie von mir will. Heute haben wir am Computer programmiert. Bzw. die Klasse blödelte am Rechner rum und ich schaute fasziniert zu.
Zweite Stunde Geometrie. Wir bekamen unsere Tests wieder- unsere Hausaufgaben wurden gleich mit zensiert. Im Test habe ich eine 2 – ich wusste ja auch nicht, was genau ich zu tun hatte. In den Hausaufgaben eine 4 (umdenken nicht vergessen- eine 4 ist hier eine 2). In Geometrie begannen wir ein neues Thema: Vektorfunktionen. Ich weiss nicht genau, ob diese erst in Klasse 11/12 in Deutschland behandelt werden, oder ob man sie abgeschafft hat, jedenfalls habe ich keinerlei Vorkenntnisse und ein russischer Lehrbuchtext hilft mir auch nicht beim Lösen einer Textaufgabe. Das kann heiter werden.
Danach hatten wir Sport. Es war sehr überraschend. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, wie locker der Sportunterricht hier angegangen wird. Man sagt man habe keine Sportkleidung oder keine Lust. Der Lehrer hält einen 5- minütigen Vortrag und gut. Ich war krank, also blieb mir der Sport erspart.
Es wird Karten gespielt oder einer neuen Lieblingsbeschäftigung nachgegangen: Charlotte alles Mögliche fragen, bis sie Löcher im Bauch hat. Wieder musste ich meine Reiseländer aufzählen (für die, welche diese nicht kennen, zähle ich sie hier noch einmal auf: England, Schweden, Finnland, Dänemark, Frankreich, Italien, Ungarn, Spanien, Griechenland, Kroatien, Slowakei, Zypern, Tschechien, Polen, Russland und dann noch ein paar Durchreiseländer wie z.B.: Belgien, Liechtenstein, Schweiz) Wieder die selben begeisterten Gesichtsausdrücke. Eine Diskussion über Wunschreiseländer folgte. Eine Schülerin sprach ganz begeistert von Deutschland und wie gern sie dort hin wolle.
Dann kamen Fragen wie: „Habt ihr Internet in Deutschland?“ oder: „Kennt ihr Schnitzel?“ ääähem - auf letztere Frage hätte ich am liebsten geantwortet. „Wir sind dessen Erfinder, Dummerli!“ Die Pausenglocke schrillte- immer noch ungewohnt, da diese an meiner Schule abgeschafft wurde und nur zu den großen Pausen ein angenehmer Gongton ertönt.
Ich liess eine weitere Stunde Vektorfunktionen über mich ergehen. Übrigens ist der Unterricht hier komplett anders gestaltet. Der Lehrer redet und man hört zu. Wenn Aufgaben zu lösen sind, so muss Jemand an die Tafel und diese dort lösen- die Anderen im Heft. Von wegen alle im Heft und dann vergleichen = Fehlanzeige.
In Geografie liess ich meine Gedanken schweifen. Die Lehrerin schien nett zu sein aber sie diktierte und die Schüler schrieben- für mich unmöglich da zu folgen. Etwas frustrierend - muss ich zugeben. In der 9. Klasse behandelt man hier immer noch sein Heimatland. Zweifelsohne ist Russland groß genug dafür. Ich empfinde dies als richtig- Deutschland sollte man in deutschen Schulen auch länger als nur in Klasse 5 behandeln!
Besonderes Extra: Das Geografiezimmer besitzt sogar einen Beamer!
Biologie gebärdete sich besonders seltsam. Denn keiner ging hin. Wir saßen in der Sporthalle und schauten den schlaksigen, pubertierenden Jungs dabei zu, wie sie einen nach dem anderen Korbwurf verpatzen. Ich musste an Deutschland und an die sportlichen Kerle in meiner Klassenstufe denken. Diesmal unterhielten sich die Mädels darüber, was sie mir kochen könnten, damit ich ein typisch russisches Gericht kennen lerne. Ich bin mal gespannt, wann der Rummel um mich aufhört…ich weiss, dass er es irgendwann wird.
Die Glocke schrillte. Wir gingen in das Klassenzimmer meiner Gastmutter. Sie begrüßte uns und drückte uns Konfekt in die Hand. Schon wieder essen! Gemeinsam mit ihr kauften wir einen Internetstick für mich. Welch eine Aktion! In Russland ist dazu der Pass eines Erwachsenen nötig! Mein Internetstick kostete mich 1100 Rubel- umgerechnet etwa 36 Euro. Hierbei sind die ersten zwei Monate schon komplett bezahlt und ich kann theoretisch Non Stop ins Internet (Liebe Grüße an zu Hause mit der Internetbegrenzung) …ich werde aber weiterhin maximal Abends online sein, da ich hier bin um etwas zu erleben und nicht um euch permanent zu schreiben. Jeden weiteren Monat wird mich meine Internetnutzung ca. 13 Euro kosten. Meine Gastmutter beglückwünschte mich zu meinem ersten wichtigen Kauf in Russland.
Wir gingen in einen Supermarkt. Wir kauften Lebensmittel- u.a. Garnelen, da ich sagte, ich habe so etwas noch nie gegessen. Also wird es demnächst Garnelen geben. Ich weiss nicht, was ich davon halten soll. Dann zeigte mir meine Gastmutter fröhlich zwei Sorten Pumpernickel und fragte ob das wirklich aus Deutschland komme. Ich musste an den Campingurlaub mit meiner Familie denken, denn da hat vor allem mein Vater das ekelhafte Zeug gegessen.

Auf dem Weg zur Wohnung habe ich noch einmal die Kirche fotografiert…
Wieder in der Wohnung gibt es erneut zu viel zu essen. Dascha wird heute von ihrer Oma nach hause gebracht werden. Dann wird es hier wieder laut- obwohl es das sowieso ist, da ich in einem frischgebauten Wohnblock wohne und kleinere Bohrarbeiten heute zu erledigen zu sein scheinen.
„Oma“ und Dascha kamen. „Oma“ brachte etwas zu essen mit…wieder hieß es: essen…
Anschließend gab es eine Konferenzschaltung mit meinen Eltern- das erste Mal überhaupt. „Oma“, Gastmutter, Dascha und Ksjoscha saßen gespannt da. Via Skype sah man sich nun gegenseitig. Es war eine herzliche- wenn auch etwas unbeholfene- Begrüßung. Ich unterhielt mich mit meinen Eltern und meiner Schwester. Meine Gastfamilie saß wie gebannt auf dem Sofa. Sie hörten zu. Versuchten zu verstehen. Selbst Dascha, welche vorher wieder mit ihrem Ball herumtobte, war ganz still. Irgendwann gingen sie in die Küche. Es tat gut mit meiner Familie zu reden. Ich stand zwar bereits im E-Mail- Kontakt mit ihnen, aber reden und sehen ist etwas anderes. Es tat sehr gut. Es hat mein Heimweh, welches ich von Zeit zu Zeit verspüre, etwas gemildert. Wir beendeten das Gespräch- ich ging in die Küche.
Meine Gastmutter sagte zu mir, dass sie sich mit „Auf Wiedersehen!“ von meinen Eltern verabschieden wollte- ich entschuldigte mich und meinte beim nächsten Mal werde ich es berücksichtigen. Man fragte mich worüber ich mich eben unterhalten hätte- ich erzählte so gut es ging.
Als die „Oma“ gegangen war, kochten Ksjoscha und ich. Oder besser Ksjoscha kochte, denn über Dascha war ein plötzlicher Anflug von Liebe gekommen. Sie hatte offenbar zum ersten mal vernommen, dass ich woanders herkomme und eine eigene Familie habe. Sie fragte mich woher ich komme und erklärte entschlossen sie werde auch mal weit weg gehen. Der Anblick des 3-jährigen Mädchen, mit entschlossner Miene, Minihandtasche, in den viel zu großen Absatzschuhen ihrer Mutter, war sehr niedlich. Danach fragte sie wie lange ich noch bleiben würde- aber ich glaube nicht, dass sie weiss wie lange fast 11 Monate sein können.
Ich schnitt Kartoffeln. Sie scharwenzelte um meine Beine herum. Irgendwann erklärte sie, sie wolle in meine Arme. Ich hob sie hoch und setzte mich. Sie sagte ich solle mich hinlegen. Ich tat es. Sie sprang auf mir herum und sagte sie sei ein Wolf und ich ein Mädchen und sie werde mich jetzt fressen. Ich fragte ob ich denn schmackhaft sei. Sie sagte zufrieden: „JA!“ Ksjoscha kochte weiter. Ich liess mich fressen. Ich stand auf und wollte Ksjoscha helfen, als Dascha an meinem Hemd zupfte und sagte: „Ich hab dich lieb!“ bzw „Ich liebe dich!“ für beides gibt’s im Russischen nur einen Ausdruck. Ich platze vor Glück. Jeha! Ich erklärte, dass die Liebe auf Gegenseitigkeit beruhe und hob sie hoch. Als meine Gastmutter im weiteren Verlauf des Abends sah, wie Dascha mich umarmen wollte, applaudierte sie zufrieden. Wir aßen. Es gab Kalmar (die gekauften Krabben). Sie schauten mich an. Also das Essen. Es schaute mich an. Ksjoscha schmunzelte und zeigte mir, wie man Kopf, Schwanz und Panzer abtrennt- ekelhaft! Meine Gastmutter traute sich auch nicht. Ich probierte ein Stück. Sehr lecker! Ich kanns nur weiterempfehlen, Dann gab´s noch Kartoffel, Bot und Kuchen- wieder viel zu viel! Nach dem Essen zerrte mich Dascha in Ksjoschas und mein Zimmer. Sagte ich solle mich hinlegen und schlafen. Ich tat als ob ich schlief – sie begann mich wieder zu fressen. Irgendwann versteckte sie sich im Schrank ihrer Mutter und wollte gefunden werden. Als ihr das zu langweilig wurde, zog sie meine Hauslatschen an. Ja richtig! Das Kind, was sonst nur in den Schuhen ihrer Mutter herumstapft zog quietschvergnügt meine ollen Latschen an. Sie liess sich fotografieren. Hier ist das Bild:



Sie ging ins Bett und umarmte Ksjoscha und mich Zwecks dessen.


In dem Sinne: Gute Nacht!

Tagesfazit: Nicht bei Allen löst ein „Zuhause-Gespräch“ Heimweh aus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen