Dienstag, 7. September 2010

die Einladung

Heute Morgen hatte ich das Sagen. Ich musste Ksjoscha beweisen, dass ich allein zur Schule hin und auch zurück finde. Wir stiegen in unseren üblichen Bus Nr. 1 ein. Wie immer- eine überheizte, vollgestopfte Bakterienkutsche. Doch man gewöhnt sich an alles. Mittlerweile habe ich meinen Lieblingsplatz im Bus. Ich stehe gern ganz hinten und sehe aus dem Rückfenster, wie die Morgensonne Cheboksarys Straßen bescheint.
Unsere erste Stunde war Chemie. Die Chemielehrerin ist sympathisch. Eine schlanke, ältere Frau (Mitte 60) mit weißen, schulterlangen Haaren und großen, blauen Augen. Sie hatte eine angenehme Art über diese schrecklich unverständliche Thematik zu sprechen. Ich hatte zum ersten Mal ein wenig Freude an Chemie- und das obwohl ich in Deutschland schon kaum etwas verstehe.
Anschließend Algebra, wir schrieben einen Test. Wie immer verstand ich die Aufgaben nicht und wie immer konnte ich nun raten ob ich die Formel nach x umstellen oder umformen soll oder einfach schreiend wegrennen... Ich wusste es nicht. Es wird eine zwei…mit Sicherheit (Umdenken nicht vergessen!).
Als wir den Mathematikraum verließen, hielt mir ein Junge die Tür auf. Es ist immer noch etwas irritierend, wie zuvorkommend die Jungs hier sind. Man kann russische Jungs durchaus als Gentleman bezeichnen.
Nächste Stunde Physik. Die plötzliche Kälte im Raum musste von der Lehrerin ausgehen. Wenn ich die Mathematiklehrerin als Ungetüm beschrieb so muss ich aus ihr wohl ein Ungetümchen machen, denn sie ist bei weitem nicht so schlimm, wie die Physiklehrerin. Diese war in einem Kostüm gekleidet, trug ihre Haare, welche durch das Haarspray seltsam aufgeplustert waren, streng hochgesteckt. Unter ihren zusammengezogenen Augenbrauen befand sich eine große, rechteckige, schwarze Brille, welche ihr strenges Aussehen nur unterstütze. Ihre langen, rot lackierten Nägel glichen Krallen. Ihre Aussprache war undeutlich und scharf. Alles in allem eine sehr unangenehme Person. Zum Glück rettete mich das Klassenfoto vor ihrem Unterricht.
Ksjoscha hatte mich am Vorabend bereits vorgewarnt, aber wirklich froh sah ich dem Klassenfoto nicht entgegen. Ich hasse Fotos. Ich werde prinzipiell in ungünstigen Momenten, in welchen ich rede oder besonders blöd dreinglotze, erwischt. Die Klasse sollte nun fotografiert werden. Hierzu hatten sich alle besonders schick gemacht- überhaupt kleidet man sich eine Woche nach dem ersten September immer noch ordentlich. Mädchen in Blusen, Röcken, Schleifen, Schminke und Absätzen- Jungs im Anzug. Alle nahmen Aufstellung. Nun wurde aber nicht einfach fotografiert- nein. Es wurde herumgemodelt und herumgemodelt. Die Füße der Mädchen in der ersten Reihe in einer Linie aufreihen! Alle Mann Brust raus- Bauch rein! Du noch hier und du dort hin! Zum Schluss stand ich in der Mitte oben- garantiert auf dem Foto zu erkennen…wie wunderbar…
In der darauffolgenden Geschichtsstunde fielen mir wieder die Hefte auf. Ein Hausaufgabenheft in Russland ist ordentlich. Die Schrift jedes Schülers ist lesbar. Nicht wie in Deutschland, wo mein Hausaufgabenheft einem vollgeschmierten Malbuch glich. Die Schulhefte sind ebenfalls ordentlich und sauber. Sehr faszinierend…so ganz ohne Smileys…oder Kommentare zur langweiligen Unterrichtsstunde….
Ich notierte mir etwas (für den Blog). Man schaute begeistert auf meine in deutsch geschriebene Notiz. Einziger Kommentar: „Krass…“
Und nun war Kantinenessen angesagt. Heut gab es Kartoffelbrei mit seltsam kaltem Fleischklops. Alles in allem genießbar. Im weiteren Verlauf der Pause machte ich ein paar Bilder…


Ksjoscha und Lera im Eingangsbereich der Schule
Ich, Lera und Ksjsocha. Dieses Bild wurde vom Wachmann am Schuleingang gemacht- nochmals danke! Der Gute brauchte 5 Anläufe bis ein einigermaßen brauchbares Bild von uns raussprang...obwohl dies auch nicht sooo bombe ist...



Während der Geschichtsstunde erklang ein langes Schrillen der Schulglocke. Feuerübung! Man schlurfte in atemberaubender Geschwindigkeit zu einer der drei Treppen, welche zum Ausgang führen. Feuertreppe? Fehlanzeige! Durch die Wechselsprechanlage war immer wieder eine Durchsage zu hören- aber
die Umgebungsgeräusche waren zu laut, ich verstand nicht, was ihr Inhalt war. Nun standen wir alle bei 15°C (gefühlte 10°C) draußen auf dem Hof. Man unterhielt sich, lachte und blödelte etwas herum, bis man wieder hinein durfte.


Das sind Nastja und Grischka während der Feuerübung. Nastja ist das Mädchen mit den unterschiedlich farbenen Augen (links braun, rechts grün). Grischa ist einer der weniger pubertierenden Jungs- angenehme Unterhaltungspartner, wenn ich die Schnauze voll von Kosmetik und Stylingtipps habe.

Zeitgleiches Foto- Grischka.

In „Sport“ wurde ich wieder gelöchert. Ich stand erfolgreich Rede und Antwort. Absolut unvorhergesehen war die Einladung von Lisa (bereits einmal in meinem Blog zu sehen- das Mädchen mit den hüftlangen Haaren). Sie fragte mich ob ich zusammen mit ihren Freundinnen am nächsten Wochenende bei ihr übernachten möchte. Ich bin eigentlich kein Fan von so etwas, da die meiste Zeit Kosmetiktipps ausgetauscht und über Jungs geredet wird- ich find das nicht sonderlich spannend. Aber vielleicht ist dies in Russland anders und Lisa ist sehr nett- zudem ist das Familienleben einer anderen russischen Familie vielleicht auch ganz spannend. Ich habe also zugesagt. Die restliche Sportstunde musste ich den Mädels deutsche Schimpfwörter beibringen, welche ich aus Rücksichtnahme an dieser Stelle nicht erwähnen werde.
Dies hatte zu Folge, dass in der darrauffolgenden Tschuwaschisch - Stunde in der Klasse deutsches Fluchen zu hören war. Die Lehrerin verstand es zum Glück nicht. Und wenn ich gestern sagte, Tschuwaschisch sei ein Mix aus Türkisch und Chinesisch, so revidiere ich heute das Chinesisch und ersetze es durch Arabisch. Viele Worte enden auf „-ala! oder „-ele“ wodurch die Sprache wirklich einen arabischen touch bekommt. In der Pause erklärte mir die Lehrerin, dass Tschuwaschisch wirklich türkische Wurzeln hätte. Wie faszinierend!
Nach dieser letzten Stunde mussten wir uns beeilen. Bereits um drei würde der Elektriker da sein. Ich bestand erfolgreich meinen Schulwegtest.
Entgegen jedem Vorurteil, welches russische Pünktlichkeit betrifft, war der Elektriker eine Viertelstunde zu früh. Er machte seine Arbeit und ging wieder. Während er da war, war auch Ksjoschas Großvater da. Beide gingen gleichzeitig. Wir waren nun mit aufräumen beschäftigt, denn der Elektriker hatte einige Bohrarbeiten durchgeführt.

Anschließend führte meine Gastschwester wieder eines ihrer langen Telefongespräche mit Sascha. Ksjoscha liebt telefonieren über alles. Ich nicht. Aber, Jeder wie er möchte!


Meine Gastmutter und Dascha kamen nach Hause. Es gab etwas zu essen. Danach geigelten Ksjoscha und ich etwas herum und Dascha wurde gebadet. Wie immer sang sie dabei aus vollem Hals irgend ein russisches Kinderlied. Irgendwann hörte man Geräusche aus dem Bad, welche darauf schließen ließen, dass ihre Mutter und sie wieder einmal Wolf und Rotkäppchen spielten- ich muss sagen meine Gastmutter kann wirklich furchterregend knurren.
Dascha hing den restlichen Abend an meinem Rockzipfel. Wollte spielen, mir die Haare kämmen und flechten und auch das ich sie tröste, als sie sich einen 1cm winzig kleinen Kratzer zuzog- weswegen sie ca. 10 Min weinte. Es war das erste mal überhaupt das ich ein todunglückliches Kleinkind auf meinem Schoß hatte. Aber ich hab die Sache ganz gut gemeistert- es ist doch faszinierend welch großes Gewese man um einen kleine Kratzer machen kann. Dann fragte sie mich plötzlich ungläubig, ob ich Mama und Papa hätte und wenn ich welche hätte wo die denn wären. Ich musste schmunzeln, denn sie hatte offenbar seit der Skype- Unterhaltung nicht verkraftet, dass auch ich Eltern habe.
Dann gab es unsere übliche 4. Mahlzeit- ganz ehrlich irgendwann gewöhnt man sich daran so viel zu essen…beängstigend…xD
Meine Grippe gestaltet sich mittlerweile seltsam. Ich war beim Schularzt er sagte es ist keine Grippe. Jetzt muss ich 3mal tägl. 2 Tabletten nehmen, aller zwei Stunden eine Lösung gurgeln und bekomme nachts Wärmepflaster auf den Rücken geklebt- ich bin völlig in den Händen der russischen Medizin. Etwas beängstigend aber ich habe soviel verstanden, dass der Arzt meinte, wenn ich es nicht täte, würde ich bald Fieber bekommen. Und das alles obwohl ich mich gar nicht mehr so schlecht fühle. Aber macht euch keine Sorgen- schließlich werden die Kranken hier auch irgendwie gesund.


Jetzt ist wieder Sandmann angesagt. Jeha!

Tagesfazit: „Ich glaube es gibt kaum einen Tag, an welchem hier nicht irgend was spannendes passiert!“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen