In der Bakterienkutsche ging es anschließend wieder zur Schule. Draußen ist es mittlerweile 15°C kalt- es sind allerdings gefühlte 10°C. Dies hat zur Folge, dass die Scheiben, der Virenschleuder auf Rädern, beschlagen und mir die Sicht auf die Straßen Cheboksarys versperren. Dies wiederum hat zur Folge, dass ich mich auf den vollgestopften Bus konzentriere, weil ich mich nicht ablenken kann. Um es nachvollziehen zu können, müsst ihr euch folgendes vorstellen. Man nehme einen uns bekannten Bus. Man setzte nun auf jeden Platz je einen Menschen und stelle auf jeden freien halben Quadratmeter einen weiteren Menschen. Jetzt arbeitet man noch ein paar kleine Hubbel in die Straße, lässt den Bus an der nächsten Haltestelle halten und noch ein paar Leute einsteigen. Jetzt wisst ihr wie es in meiner Bakterienkutsche zugeht.
In Chemie ist mir wieder eine kleine Besonderheit aufgefallen, welche ich euch nicht vorenthalten möchte.
Da in der russischen Sprache kein „h“ vorgesehen ist sind die meisten Russen nicht fähig dieses zu sprechen. Es hat ein bisschen gedauert bis ich kapierte, dass immer wenn die Lehrerin „Asch“ sagte ein „h“ meinte. Aus meinem gewohnten „H“ bei Wasserstoff wird also plötzlich ein „Asch“ - geschrieben wird es allerdings ein „h“.
In der Physikstunde wanderte mein Blick zum Fenster hinaus, das Bild welches ich nun wahrnahm möchte ich euch nicht vorenthalten. Es ist eine Baustelle...im wahrsten Sinne des Wortes...
In der Pause wurde ich grinsend mit „Scharrrlottutschka“ in eine Gesprächsrunde aufgenommen. Ich sah Natascha entgeistert an- sie lachte und meinte der Spitzname werde sich nicht durchsetzten…ich war beruhigt.
Der Schultag schien wieder kein Ende zu haben- um so fröhlicher ist man, wenn man feststellt, dass dem doch nicht so ist.
Als Ksjoscha, Sascha, Lera und ich das Schulgebäude verließen, passierten wir –wie an jedem Tag- den Wachmann am Eingang. Er sitzt da an einem Tisch und liest meistens irgend ein Klatschblatt. Wie jedes Mal schoss mir durch den Kopf, dass Wachmann an einer so ruhigen Schule zweifelsohne der langweiligste Beruf überhaupt ist- mal abgesehen von Zahnpastatubenzuschrauber in einer Fabrik .
Auf dem Weg zur Wohnung legten wir einen Zwischenstopp bei dem kleinen Einkaufskomplex „Schupaschkar“ – was der zweite Name für Chaboksary (auf Tschuwaschisch) ist- ein. Dort kaufte Sascha für Ksjoscha und mich Pizza- wir haben das Mittagessen verpasst….was ich nicht sonderlich bedauerte, da ich statt einem nacktem Würstchen nun eine lecker, knusprige Pizza verzehren würde.
In der Wohnung angekommen ließen wir uns die Pizza schmecken und philosophierten darüber ob ich nun Sport nötig hätte oder nicht. Die Angst …ja man kann es wirklich Angst nennen… die ich habe als „doppeltes Lottchen“ in die Heimat zurückzukehren begleitet mich hier jeden Tag- aber ich esse trotzdem zu viel … also keine Sorgen um eventuelle Unterernährung an dieser Stelle. Sascha meinte ich hätte keinen Sport nötig- aber er steht auf proppere Mädels- weshalb er Ksjoscha immer zum Essen ermahnt. Ksjoscha meinte ebenfalls, ich hätte es nicht nötig, da ich eh nicht zunehmen würde. Dennoch würde ich heute einen Schnupperkurs mitmachen.
Es war 6 Uhr, als ich mich in Sportkleidung in einer kleiner Sporthalle in Begleitung meiner Gastmutteer und Dascha wiederfand. Eine Frau ende 50 mit weißen, kurzen Haaren, pinkfarbenen Lippen und rosa-schwarz geschminkten Augen begrüßte uns. Sie meinte ich würde heute erst mal eine Schnupperstunde mitmachen. Meine Gastmutter verabschiedete sich. Da war ich nun allein, zwischen ca. 15 weiteren Mädels bzw. Frauen, welche alle bereits Aufstellung genommen hatten. Die freundliche Frau drückte mir einen Holzstab, welcher ca. 1,50m lang war, 0.5kg Hanteln und eine Yogamatte in die Hand. Sie meinte ich solle keine Angst haben- es würde schon nicht schwer werden. Alle weiblichen Geschöpfe in dem Raum sahen in Richtung einer komplett mit Spiegeln bedeckten Wand- schließlich sollte man bei Fitnessübungen auch sehen, ob man es richtig macht. Über den großen Spiegeln hingen mehrere Fernseher. Die Frau schaltete das Video, die Musik und die Lichteffekte ein. Die Trainerin (freundliche Frau mit dem krassen Make- up) erklärte mir, ich solle die Bewegungen der Sportlerin auf der linken Seite des Bildschirmes nachmachen. Ich meisterte meine Aufgabe ganz passabel. Ab und zu kam die erstaunlich fitte 50jährige auf mich zu und meinte ich sei eine Frau und solle eine aufrechte, freundliche Haltung beibehalten und nicht zu einem verkrampften Kartoffelsack zusammenfallen. Das war aber leichter gesagt als getan- ich war dennoch nicht schlecht.
Auf dem Bildschirm waren noch zwei weitere Frauen zusehen. Eine die ein Muskelaufbautraining ausübte und eine weitere, welche Konditionstraining vorführte- ich machte übrigens Problemzonen- Training wie mir später gesagt wurde.
Die Musik war basselastik- was mir persönlich sehr zusagte – die Lichteffekte waren nur leichter Farbwechsel, aber dennoch passend. Alles in allem war es eine angenehme, wenn auch anstrengende Sportstunde. Anschließend unterhielt ich mich mit der Trainerin. Sie redete schonungslos schnell und kompliziert auf mich ein. Zwischendurch immer die Frage ob ich verstanden hätte- ich bejahte, denn ich bezweifelte, dass sie andere Sprachen beherrschte auf welche sie ausweichen könnte. Ich habe so viel verstanden, dass das so genannte „Scheiping- Programm“ eines der besten Trainingprogramme überhaupt ist.- mehfach ausgezeichnet und von Ärzten bestätigt. Sie zeigte mir Bilder von Frauen welche von Fett zu furchtbar attraktiv mutierten- eben durch besagtes Programm. Um ehrlich zu sein bezweifle ich etwas, dass dieses Training wirklich solch eine Wirkung zeigt aber das werde ich ja noch sehen. Sie erklärte mir die Kosten und das beim nächsten mal sämtliche Körpermaße und Masse genommen werden und ein eigenes Programm auszuarbeiten und den Erfolg nachvollziehen zu können. Eigentlich wollt ich nicht Problemzonen bearbeiten- dazu bräuchte ich erst mal welche- aber schaden kann es nicht und ich werde die Horrorvorstellung von 15 Kilo mehr auf den Rippen los. Nächsten Donnerstag werde ich wieder hingehen.
Von dem Sportraum bis zur Wohnung muss ich nur einen kurzen Weg von etwa 5min zurücklegen- es machte mir also nichts aus, dass es bereits dunkel geworden war.
Ich betrat die Wohnung. Meine Gastfamilie begrüßte mich freundlich. Die „Oma“ war zu Besuch. Sie war eine Woche in Sotschi gewesen, um dort ihren Urlaub zu verbringen. Sie hatte mir sogar etwas mitgebracht. Ich bedanke mich höflich.
Ein Magnet aúf welchem links Oben "Sotschi" geschrieben ist. Sieht schön aus- na wie siehts mit der nächsten Urlaubsplanungaus Papi? :)
Ein Steindelfin
Ein Steindelfin
Während des Abendessens wurde ich ausgefragt wie ich das Training fand und ob ich es weitermachen würde. Ich fand´s klasse! Ich mach weiter! Meine Gastmutter wechselte irgendwie sehr geschickt das Thema, denn plötzlich fragte sie mich wie ich denn die Jungs hier so fände. Ich sah sie entgeistert an. Erstens weis sie, dass ich vergeben bin und zweitens reden wir hier immer noch von den pubertierenden Sprageltarzanen der 9.Klasse. Ich sagte ich habe bereits einen Freund. Sie gab sich nicht zu Frieden. Darauf hin sagte ich „Nun ja…ist die 9. Klasse…es sind halt Bubis…“ zuckte dabei mit den Schultern und setzte ein desinteressiertes Gesicht auf. Meine Gastmutter musste lachen. Sie meinte daraufhin zur „Oma“ wie sehr es ihr gefalle, dass ich immer frei heraus sage, was ich denke. Ich grinste.
Dascha schrie plötzlich mitten in die Abendbrotunterhaltung: „Schalotte wird fett nach Deutschland zurückgehen!“ Hallendes Gelächter unterbrach das Gespräch.(Dascha ersetzt immernoch das gerollte "r" durch ein "l"- weshalb ich Schalotte bin) Während meine Gastmutter sich freute, dass Dascha das Wort „Deutschland“ kannte, freute ich mich darüber, dass wenigstens einer hier meine Bedenken verstanden zu haben schien.
Nach dem Sandmann verabschiedete sich die „Oma“.
Ich widmete mich den Englischhausaufgaben und ging anschließend zu Bett.
Liebste Grüße
Tagesfazit: „Sportprogramm wird fortgesetzt!“
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