Mittwoch, 1. September 2010

Man putzt sich heraus

Am 1. September putzt man sich in Russland heraus, denn heute ist ein Feiertag. Man beschenkt Lehrer mit Blumen und begrüßt die neuen Mitschüler. Ich zog also eine weiße Bluse und schwarze Jeans an und steckte mein Haar hoch.(Irgendwie sehe ich auf dem Bild gequält aus...ich und gestellte Fotos :) In der Hand halte ich mein Hausaufgabenheft. Das zweite Foto ist eine Nahaunahme dessen. Darauf steht: "Dnevnik" ausgesprochen: "Nivnik" was so viel wie Tagebuch bedeutet.) Ksjoscha trug in etwa dasselbe - nur dass sie keine Ballerinas sondern Absatzschuhe trug, was ihre kleine Schwester dazu animierte durch die Wohnung zu hüpfen und zu rufen : „Ich will Stöckelschuhe auch haben!“ Sehr niedlich. Wir gingen zum „Trolleybus“ - ein Bus mit Oberleitungskontakt, also wie bei einer Straßenbahn. Es war warm im Bus- was mich sehr beruhigte. Bei – 40°C will ich auf keinen Fall 20 Minuten im kalten Bus sitzen- obwohl sich nun unweigerlich die Frage stellt, ob die Heizung bei – 40°C noch mitspielt. Wir fuhren also bis zur Schule. An der Haltestelle angekommen mussten wir noch ein Stückchen laufen - ich hätte die Schule gern fotografiert, aber meine Akkus waren leer, weshalb ich Fotos nachreichen werde. Ich habe extra Jemanden gefragt, welcher die ganze Zeit diesen historisch wertvollen Feiertag mit seiner Kamera dokumentierte. Ich kam an der Schule an und traf Ksjoschas Freundinnen vom Vortag wieder - man begrüßte mich herzlich. Die Schule ist als eine Art Rechteck aufgebaut- mit Innenhof. In besagtem Hof fand später eine kleine Feier statt, von welcher ich noch nichts ahnte. Überhaupt merke ich, dass ich die Dinge einfach auf mich zu kommen lasse, was sonst eigentlich gar nicht meine Art ist. Ich wurde einer Lehrerin vorgestellt, welche mich herzlich begrüßte und mir erklärte, dass ich mich bei Fragen und Problemen sofort an sie wenden könne. Dann sagte sie mir, dass ich bei der kleinen Feier im Innenhof der Schule mich vor versammelter Mannschaft vorzustellen hätte… womit ich schon erste Fragen und Probleme hätte… . Ich sah in den Innenhof der Schule. Es ist alles etwas schäbig - erinnert an DDR-Plattenbau. Auf einer Treppe standen Mikrofon, Lautsprecher und alles war mit Luftballons geschmückt. Ksjoscha und ich gingen zum Hof. In meinem Kopf ratterte es, was ich nun sagen sollte: ich entschied mich für Standard: „ Guten Tag. Ich heiße Charlotte R. Ich komme aus Deutschland und werde an eurer Schule lernen.“ Ksjoscha sagte das genüge.
Die Erstklässler machten den Anfang. Sie traten in die Mitte des Hofes und einige sangen. Alles sehr niedlich anzuschauen. Die Mädchen in Röcken mit weißen Strumpfhosen und weißen riesigen Schleifen im Haar- was mich ein bisschen an Mickey Mouse erinnerte. Die Jungs in Anzug. Danach folgten lehrreiche Ansprachen der Schulabgänger- auf welche Höhen und Tiefen man sich denn einzustellen hätte. Die Schulleiterin sagte in etwa dasselbe. Aber vermutlich habe ich von beidem nur diesen Teil verstanden. Dann war ich an der Reihe. Plötzlich stand ich auf der Treppe mit Mikrophon in der Hand und alle sahen mich an. Ich hab noch nicht mal in meiner deutschen Schule so etwas gemacht, doch in diesem Moment war ich seltsam entspannt. Ich sagte meinen Text. Es gab Applaus. Die Lehrerin, welche mich zuvor mit den netten Worten geködert hatte, um mir die bittere Pille des Auftritts leichter unterschmuggeln zu können, sah mich strahlend an. Offenbar hatte ich bestanden. Auch hier werde ich noch Fotos reinstellen. Vor Stolz platzend ging ich zu Ksjoscha zurück. Ein kleines Mädchen schloss die Veranstaltung ab, indem es von einem Jungen auf die Schultern genommen, durch die Menge getragen wurde und mit einer Glocke das neue Schuljahr feierlich einläutete, während Luftballons in den Himmel stiegen und Musik ertönte. Nach der Veranstaltung henkelte sich Lera (Ljera ausgesprochen) bei mir ein. Ich hasse es eingehenkelt umher zu laufen, weil ich mir entweder wie ein Klatschweib oder eine Oma, welche nicht mehr allein gehen kann, vorkomme. Aber ich wollte mich nicht unbeliebt machen und ließ sie gewähren. Sie ist mir von Ksjoschas Freundinnen am symphatischsten - sie ist erholsam natürlich. Sie ging mit mir und Ksjoschas Freundinnen zum Klassenraum. Dort begrüßte mich die Klassenlehrerin in perfektem Englisch und wurde gleich darauf hingewiesen, dass mein Russisch gut sei. Dies höre ich hier häufiger… aber ich glaube man ist einfach nur höflich.
Diese Schule, welche ich nun die nächsten 11 Monate besuchen werde, ist eine Englisch - Intensiv – Schule. Das wurde mir mitgeteilt, als ich fragte, warum die Zimmernamen (Wie Chemiezimmer) in englisch geschrieben sind. Auch Schüleraustausch soll hier zur Routine gehören. Alles sehr beruhigende Fakten. Ich setzte mich in die Klasse- immer in der Gruppe Ksjoschas Freundinnen. Die Lehrerin (welche übrigens einen knielangen, enganliegenden Rock, Nylonstrümpfe, schwarze, knielange Absatzstiefel und eine Bluse trug…in Deutschland ein seltener Anblick) verwies die Klasse darauf, dass sie nun fleißig zu lernen hätten. Ich analysierte die Klasse. Am einprägsamsten waren die 12cm Pumps einer 14- jährigen…welche ein wenig später von den 8cm Pumps einer 9-jährigen getoppt wurden. Auch dieser Klasse wurde ich vorgestellt. Nach ca. 2h Schulaufenthalt konnten wir gehen. Wir standen in der Eingangshalle der Schule, als mich ein Kerl fragte: „Hey… bist du die Austauschschülerin, welche bei uns lernen wird?“ Ich entgegnete etwas überrascht (auch weil er offenbar meine weltbewegende Ansprache verpasst zu haben schien): „Ja“ Ich weiss, es ist nicht viel aber er quatschte gleich weiter : „Und du bsit aus Deutschland?“ Ich entgegnete wieder meine zwei Buchstaben. Daraufhin rief ein Mädchen neben ihm: „Ja! Gewonnen!“ Beide kehrten in ihren Freundeskreis zurück. Ich musste lachen. Man wettet also schon woher ich komme. Es ist seltsam jetzt „die Deutsche“ zu sein…obwohl mich Ksjoschas Freundinnen immer brav Charlotte nennen…was auf russisch eher ein Scharrrrlota ist. Apropos mein Name. Als ich einem weiteren Mädel vorgestellt wurde, sagte sie bei der Nennung meines Namens nur : „süß!“ Was bitteschön ist an Charlotte süß?!
Wir fuhren mit dem Bus zu Mc Donald. Spielten Karten und aßen. Das Spiel heißt übrigens „Davno- vor langer Zeit“ …wenn ich es richtig übersetzt habe. Ich habe Ksjoscha einiges über Deutschland erzählt zB.: dass es hier nicht üblich ist Absatzschuhe zu tragen oder Miniröcke- und schon gar nicht beides zusammen und dass eine Unterrichtsstunde 90min dauert… beides sorgte für entgeistertes Erstaunen bei Ksjoschas Freundinnen. Besagte Mädchen kämmten sich übrigens im Mc Donals ihre endloslang erscheinenden Haare…in aller Öffentlichkeit…danach wurde der Lippenstift gezückt. Ganz ehrlich ich hoffe bald ein paar Kerle kennen zu lernen, denn das wird mir hier langsam wirklich etwas zu tussig…
Ksjoscha und ich verabschiedeten sich von ihren Freundinnen und gingen wieder zur Schule, um mich in Cheboksary registrieren zu lassen- schließlich will ich nicht illegal hier sein. Dann besuchten wir ihre Mutter, welche in unserer Schule arbeitet. Sie stand in einem Meer aus geschenkten Blumen und begrüßte uns fröhlich. Sie drückte mir eine Sim-Card in die Hand. Sehr billig. Eine SMS kostet umgerechnet ca. 3 Cent und ein Anruf 1,3 Cent- Anrufe im selben Netz sind kostenlos. Das ist vermutlich der Grund, warum hier jeder permanent an der Strippe hängt- sogar im Unterricht ist Handygebimmle normal. Nunja jetzt habe ich eine neue Nummer- schreibt mir am besten e-mails, da ich nicht verstanden habe, welche Kosten bei Ferngesprächen auf mich zukommen. Wieder in der Wohnung habe ich meinen Krempel sortiert und mich mit Ksjoscha über alles Mögliche unterhalten. So weiss ich nun auch meinen Stundenplan für morgen. Die Schule beginnt 8:30 Uhr …aber es fallen drei Stunden aus. ;-) So habe ich morgen nur Englisch, Sport , Mathe und Biologie …das alles... auf Russisch…ich bin gespannt….

Nachmittags kam Daschas Oma zu Besuch. Sie brachte Kuchen mit. Begann schonungslos auf mich einzureden…unter anderem habe ich verstanden, dass sie meint ich sei schön und sehr weit gereist. Meine Reisefreudigkeit (danke liebe Eltern) löst hier wahre Begeisterung aus. Dann kam Ksjoschas Opa und brachte Dascha, welche aus dem Kindergarten kam, mit. Er hatte eine Wassermelone gekauft, über welche wir uns auch noch hermachten. (Ich habe bereits Suppe, Kekse und Kuchen gegessen) Dascha wurde immer lauter. Sie schrie und lachte, hüpfte auf ihrer Oma hin und her anstatt zu essen. Ich fand den Anblick ganz niedlich, da ich ihn nicht gewöhnt bin, aber Ksjoscha und Oma fanden es wohl weniger lustig. Daschas Oma benutzte mich inzwischen als Druckmittel. Wenn Dascha ein verbotenes Wort benutze oder rumalberte hieß es: „Daschenka, möchtest du etwa, dass Charlotte dich so sieht? Dann denkt sie: so ein…. (habe ich nicht verstanden) Mädchen!“ Ich fand´s witzig…nur machte ich mir etwas Sorgen, dass ich mich auf diese Weise unbeliebt machen würde. Ksjoscha rief ihre Mutter an und fragte wann sie nach hause kommen würde. Ihre Mutter antwortete es würde noch etwas dauern, da meine Registration in dieser Stadt offenbar unangenehmer Papierkram bedeutet. Dascha rief voll Sehnsucht: „ Ich will mit Mami reden! Gibt mir Mami!“ Ksjoscha gehorchte und gab ihr Handy. Dascha sagte: “Hallo!“ und gab das Handy freudestrahlend zurück. Dann stopfte sie sich Kuchen in den Mund, saß ein Weilchen ruhig da, um dann vom Schoß ihrer Oma aufzuspringen und zu sagen : „Ich geh kacken“ Sehr unweiblich… aber im Alter von 3 Jahren ist eine solch konkrete Äußerung fast noch niedlich. Nun kam auch meine Gastmutter nach hause und brachte mir einen kleinen Porzellanelefanten als 1. September Geschenk mit.(siehe Foto) Daschas Oma schien erleichtert über die Ablösung. Auch Dascha kam freudestrahlend angesprungen. Sie war wieder schrecklich aufgedreht und warf mit ihrem Lieblingsball. Irgendwann warf sie mit Kissen um sich. Ich hob sie auf. Sie warf erneut. Ein Kreislauf, der ihr zu gefallen schien. Irgendwann rief mich meine Gastmutter, um mir etwas zu erklären. Dascha kam an, umfasste einen meiner Finger und zog mich zurück zu den Kissen. Sehr niedlich. Man erklärte mir, dass sie mich nun lieb habe. Also ließ ich mir den nervraubenden Kreislauf gefallen. Daschas Oma verabschiedete sich und Ksjoschas Schwester irgendwelchen Grades (habe ich nicht ganz verstanden) kam zu Besuch. Eine typisch russische, junge Frau. Schwarze, lange Haare, Pumps und zu dünn. Sie ist sehr nett und interessiert sich für Deutschland. Fragte ob meine Eltern sich sorgen machen und ob ich eine Schwester hätte. Das werde ich häufiger gefragt und wenn ich entgegne ja eine Zwillingsschwester mit blonden, glatten Haaren und grünen Augen sieht man mich entgeistert an und ich muss Fotos zeigen. Auch die Taschenuhr, welche mir meine Eltern zum Abschied schenkten löst Begeisterung aus. In der Zwischenzeit schnappte Dascha sich eine Tube Zahnpasta und sang aus Leibeskräften hinein… wenn Zahnpasta nicht mal das ideale Mikro ist….














Wir gingen wieder in die Küche und aßen Pizza. Meine Gastmutter erklärte mir, ich würde dick und rund nach Deutschland zurück kommen und wenn mein Essverhalten so weiter geht, glaube ich ihr.
Ich habe wieder die Gute-Nacht- Geschichte mit Dascha angeschaut, nachdem Dascha mich vor den Fernseher zog. Sehr interessant und bunt. Diesmal habe ich ein bisschen verstanden.
Ich glaube heute passiert nicht mehr viel. Ksjoschas Schwester wird gehen.

Randnotiz:
Ein russischer Hund macht nicht „Wuff“ sondern „Gaff“. Woher ich das weiss? Nun, Dascha ist mit einem Hund durch die Wohnung gerannt und rief „Gaff, Gaff“ ;-)

Ich habe keine Lust auf Sport… in dem Sinne: Bis Morgen!

Tagesfazit: Ohne Dascha wäre meine Aufenthalt vermutlich nur halb so lustig
.

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