Sonntag, 31. Oktober 2010

"Herbstball" bei Schnee

Wenn man sich fragt, wozu man im Sportunterricht auf einem Schwebebalken balanciert und Hindernislauf absolviert, so hat man Russland noch nicht bei Regen erlebt. Am Donnerstag balancierte ich auf Bordsteinkanten entlang, da Fußweg und Straße an einigen Stellen gleichermaßen überflutet waren. Nasses Ekelwetter- wie bereits am vergangenem Donnerstag.

In der Schule alberte ich mit Natascha (der Klassenbesten) und Nastja (welche mir ein Armband schenkte) herum. Irgendwann meinte ich im Spaß: „Ihr seid blöd!“ Ich konjugierte allerdings falsch so dass ich sagte: „Ihr seid ein Irrenhaus!" Man klärte mich über meinen Fehler auf- was erneut zu herzhaftem Gelächter führte.

In Biologie wurden Vlad und ich wieder zum Kekse essen und Teetrinken eingeladen. Jeha! Ich wollte höflich sein und nicht alle Kekse aufessen. Die Lehrerin sah während ihrer Stunde mal nach dem Rechten und fragte uns empört warum wir nicht essen würden. Als sie ein zweites Mal erschien, meinte sie wir könnten das nächste mal noch den Computer einschalten, wenn uns langweilig werden sollte. In solchen Momenten liebe ich die russische Mentalität!

Am Freitag war „Tag des Kürbisses“ . Ein extra erfundener Feiertag, welcher Halloween ersetzen soll. Wenn ich mich mit meinen Mitschülern unterhalte, so höre ich immer die Übereinstimmung, dass man gern Halloween feiert- aber Halloween ist nun mal ein amerikanischer Feiertag und den kann man ja nicht so ohne weiteres einfach in Russland feiern! Weshalb der „Tag des Kürbisses“ eingeführt wurde- also derselbe Feiertag nur in Kürbis und damit sofort machbar an einer russischen Schule…
Viele waren verkleidet, Süßes wurde verteilt, die Schule war geschmückt, kleine Gewinnspiele standen zur Teilnahme aus- man hatte sich wirklich Mühe gegeben. Alles in allem ein bunter, lustiger Schultag – besonders lustig für mich, denn ich bekam in Physik und Englisch eine 5.


Das Begrüßungskommitee am Tag des Kürbisses- sehr fröhlich!

Kolja, Nastja , Natascha und Sonja

Um 15:30 begann der „Herbstball“. Draußen lag Schnee. Im Oktober einen Herbstball abzuhalten ist durchaus passend- nur der Blick aus dem Fenster lässt einen Winterball für angemessener erscheinen.
Der Ball fand im Versammlungsraum der Schule statt. Einige kamen in Kostümen (schließlich war immer noch Tag des Kürbisses) und wieder andere in Abendgarderobe. Wieder fiel mein Blick auf das Schuhwerk der minderjährigen weiblichen Ballteilnehmer… 15-20cm Absätze…*hust* ich habe von einer Freundin mal ein solches Paar anprobiert. Das Laufen in ihnen ist eigentlich gar nicht so schwer- nur bin ich dann fast 1,90m hoch und das ist eindeutig zu viel!
Zunächst präsentierten einige Klassen selbst gedrehte Filme oder einstudierte Stücke, dann wurden die Lichter gedämmt, die Musik eingeschaltet und der Bass aufgedreht. Spätestens dann ging mir auf, dass das Wort „Ball“ mehr ein Codewort für Party war. Ich feierte also mit und verließ die Tanzfläche erst, als ich merkte, dass trotz Aufsicht der Lehrer der Alkoholpegel einiger Feiernden anstieg (natürlich ohne dass die Lehrer etwas davon wussten).

Fazit: „Tag des Kübisses ist Halloween - nur zwei Tage früher“



Der letzte Schultag vor den Ferien! Neuer Schnee, welcher die dreckigen Wege und grauen Häuser mit weiß bedeckte, ließ Tscheboksary ruhiger und reiner erscheinen. Ich zog zum ersten mal meine neuen Winterstiefel an- meine Ugi! Der Schnee knirschte unter ihnen, als ich mich mit Ksjoscha auf den Weg zur Schule machte. Mollig warm war es in meiner Fußbekleidung. Minus 20°C sollten in ihnen auch ohne extra Socken locker abzuhalten sein.

Nach vier normalen Unterrichtsstunden, in welchen sowohl Lehrer als auch Schüler ungeduldig auf das Vorrücken der Uhrzeiger sahen, gab es einen kleinen Appell. Alle Klassen versammelten sich in Gruppen ihrer Jahrgangsstufe- ich stand mit bei den Neuntklässlern. Wie seltsam. Manchmal vergesse ich, dass ich in Deutschland bereits in der 11. Klasse wäre- damit wäre ich hier schon Abschlussjahrgang, denn es gibt nur 11 Klassenstufen an einer russischen Schule.
Es wurden Urkunden für 5er Schüler und besondere Leistungen verteilt. Ksjoschas Freund Sascha ist ein 5er Schüler und lässt das auch alle wissen- es solle ja keiner auf die Idee kommen, einen gewöhnlichen Mitschüler vor sich sitzen zu haben. Wiedereinmal stimmt Zensierung und Leistung nicht überein. Sascha ist faul und macht nie mehr als notwendig- dennoch 5er Schüler mit Auszeichnung…
In der anschließenden Zusammenkunft nur im Klassenverband wurden die Zeugnisnoten verkündet. Dabei gibt es hier ein anderes System, als in Deutschland. Das Schuljahr ist in Viertel aufgeteilt. Jeder Schüler hat in seinem Hausaufgabenheft eine vorgedruckte Tabelle. Dort trägt er pro Schuljahresviertel beim entsprechenden Schulfach seine Gesamtnote ein- anschließend wird es vom Klassenlehrer durch eine Unterschrift für gültig erklärt.
Ich habe leider kein „Zeugnis“ bekommen- und das obwohl ich in einigen Fächern Zensiert worden bin.

Gegen 13:00 Uhr wurden wir endlich in die Ferien entlassen! Für mich begann damit der schönste Teil des Tages. Ich war von Sonja eingeladen worden, mit ihr, Nastja und Natascha zu kochen. Ich würde lernen wie man Scharlottka bäckt!
Wir liefen ein kleines Stück bis zu Sonjas Wohnung.
Sonja führte mich durch die Wohnung. Es gibt sogar ein Spielzimmer für die kleine Schwester! Sofort musste ich an meine eigene Schwester denken, denn sie würde beim Anblick der Schaukel in dem Zimmer sicherlich bis über beide Ohren grinsen und sofort los schaukeln.
Wir gingen in die Küche. Sonjas Mutter wurde mir vorgestellt. Typisch russisch. Wir waren noch nicht mal richtig in der Küche und die erste Frage war:
„Habt ihr Hunger? Ihr müsst was essen!“
Sonja antwortete: „Mama wir machen doch gleich Pizza und Scharlottka!“
„Na und? Etwas Brot kann jeder essen!“ Ihr Blick fiel dabei auf mich.
„Setz dich! Iss! Du bist schrecklich dürre!“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Der Gewinner dieser Runde stand fest. Wir setzten uns und aßen belegte Schnitten und Salat. Das heißt, ich wurde genötigt das Doppelte zu essen, denn schließlich bin ich „furchtbar dürre“.
Sonjas Mutter wusste, dass wir allein kochen wollten und hatte sich deshalb bereit erklärt, mit Sonjas Vater zur Datsche zu fahren, damit wir die Wohnung für uns hätten. Aber sie war einfach nicht zum Gehen zu bewegen.
Mutter: „Ihr wollt also kochen? Wisst ihr überhaupt wie man Scharlottka macht? Wartet ich wähl' euch die Äpfel aus!“
Sonja: „Mama wir können selber Äpfel auswählen!“
Mutter: Jaja ich bin gleich weg ich wasch nur noch schnell die Äpfel!“
Sonja „Mama! Wir können selber Äpfel waschen und schneiden!“
Nastja: „Ehrlich! Ich hab' erst vorgestern mit meiner Mutter Scharlottka gebacken- wir wissen wie das geht!“

Nachdem sie uns abgefragt hatte, welche Zutaten in welchen Mengen für eine Scharlottka notwendig seien und Sonja wegen des Spektakels ihrer Mutter fast an die Decke gegangen wäre, ließ sie uns endlich allein.

Wir buken also Pizza und Scharlottka- beides sehr lecker. Wir hatten viel Spaß- es war ein wunderbarer Nachmittag. Hier ein paar Fotos:




Nastja (welche mir das Armband schenkte) und Natascha (die Klassenbeste) mit Scharlottka
Scharlottka ist eigentlich ein normaler Apfelkuchen- hier noch mit schwarzen Johannisbeeren verziert




Sonja :)


Natascha
Und hier das lengendäre Foto: Scharlotta mit Scharlottka

Als Sonjas Mutter gegen 6 wiederkam, machten Nastja, Natascha und ich uns auf den Heimweg. Sonjas Mutter unterhielt sich kurz mit mir. Wie es mir gehe und ob ich mich hier wohl fühlen würde. Sie erkannte meine russisch Kenntnisse – sie meinte: „Nun- sie spricht doch normal!“ Endlich mal jemand der nicht glaubt ich könne wunder was wie gut Russisch…
Wir wollten gerade die Wohnung verlassen, als sie mich zurück rief und meinte: „Draußen ist es kalt! Warte!“ Sie nahm meinen, bereits umgebundenen, Schal ab, stellte den Kragen meines Mantels hoch und wickelte den Schal erneut um meinen Hals. „Sonst erfrierst du! Hast du keine Mütze?!“ „Nein- draußen ist es nicht so kalt. Ich brauche sie noch nicht!“ Ein entrüsteter Blick, doch sie ließ uns gehen.
Kaum war ich draußen band ich meinen Schal wieder auf meine gewohnte ohne-Kragen-hochstell- Methode um. Das wiederum führte zu Gelächter meiner Freundinnen.
Mal ehrlich! Ich bin allein in Russland und fast 17! Das ist nicht der erste Winter für mich und mit den jetzigen Temperaturen von –5°C bin ich durchaus vertraut! Hier ein lieber Gruß an meine eigene Mutter: Dem Himmel sei Dank bist du keine Glucke!

Natascha und Nastja brachten mich noch bis zur Bushaltestelle. Ich hoffe, wir machen so etwas noch öfter!

Im russischen Heim angekommen war ich froh, mal nicht von meiner Gastmutter zum Essen genötigt zu werden, denn auch sie kannte Sonjas Mutter und wusste ich würde randvoll zugestopft sein.
Stattdessen wartete ein weiteres Paket auf mich. Meine Großtante hatte mir Süßes, ein warmes Oberteil, einen beigelegten Brief und eine Ingwerwurzel, zur Stärkung des Immunsystems, geschickt. Vielen Dank! Ich freue mich sehr!


In dem Sinne: liebste Grüße aus dem verschneiten Tscheboksary....

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