Sonntag, 24. Oktober 2010

Du bist ein Spion!

Der Samstag war der beste Tag, welchen ich hier bisher erleben durfte.
Obwohl ich dank des Wettbewerbs nicht zur Schule musste, stand ich früh auf, schließlich war Babysitten angesagt. Ich habe keinerlei Erfahrungen was Babysitten betrifft, da ich als einziges Geschwisterchen einen Zwilling aufzeigen kann. Es lief prima- wir bastelten, malten, spielten verstecken…dann fiel mir auf, dass Dascha rote Punkte an ihrem Körper hat. Windpocken. Ich rief meine Gastmutter an. Sie meinte daraufhin sie würde auf dem Rückweg von ihrer Arbeit Medikamente einkaufen.
Ich beschäftigte Dascha weiter. Ich begann sie auszutricksen. Schließlich musste ich Essen für sie kochen und wollte meine Gastmutter mit einer gewischten Wohnung überraschen. So ließ ich sie sich verstecken und führte anschließend laute Selbstgespräche wo sie denn nur sei und dass ich sie nicht finden könne, während ich Essen machte und hoffte sie käme nicht aus ihrem Versteck hervorgekrochen.
Sie kam nicht hervorgekrochen. Ich kochte Bratkartoffeln mit Ei, Gehacktem und dazu Brötchen. Dann wischte ich die Wohnung. Meine Gastmutter war sichtlich beeindruckt, als sie nach Hause kam. Aber ich hatte kaum Zeit mich darüber zu freuen – ich musste weg. Katja hatte am Abend zuvor eine SMS geschrieben, sie möchte uns heute 13 Uhr treffen. Keiner wusste wieso. Ich vermutete, wir würden endlich mal besprechen, worüber wir genau beim Sprachenfest reden würden.
Ich war bereits spät dran. So stürzte ich aus der Wohnung, zog noch im Fahrstuhl Mantel und Schal über. Im Gehen steckte ich meine zerzausten Haare zusammen, damit man mir den doch stressigen Vormittag mit klein Daschula nicht so sehr ansah. Dann legte ich noch einen Sprint zum Trolleybus hin und liess mich erschöpft auf einen freien Platz fallen. Ein mittlerweile und bedauerlicherweise bekannter Geruch stieg mir in die Nase. Er kam von dem Mann neben mir. Ein beißender, Übelkeit erregender Mix aus Fisch und Alkohol. Schrecklich! Mindestens 2 mal in der Woche trifft man diesen Geruch im Trolleybus an…

Ich kam mit 5 Minuten Verspätung beim Treffen an. Man nahm es mir nicht übel, da ich vorbildlich angekündigt hatte, dass ich zu spät kommen würde.
Wir gingen in die Universität. Katja erzählte uns, worüber wir bezüglich des Sprachenfestivals sprechen könnten und fragte uns, wie wir hier zurecht kommen würden. Dann gingen wir in einen Saal. Es war wie ein Theatersaal. Große Bühne, sogar Logen, viel Publikum und ein riesiger Kronenleuchter. Wir setzten uns- noch dachte ich es wäre nur eine Generalprobe, bei der wir gemütlich zusehen würden. Dann meinte Katja: „Wenn sie euch aufrufen, müsst ihr nur kurz sagen, warum ihr hier seid. Das genügt.“ Schock. Bühne. Publikum. Hatte ich den gefüllten Theatersaal schon erwähnt? Sophia (auch aus Deutschland) und ich begannen nun zu diskutieren was wir sagen könnten und wer von uns überhaupt etwas sagen würde. Und dann wurden wir auch schon aufgerufen. Der Deutsche, welcher bereits an meiner Schule eine Präsentation gehalten hatte, stellte sich vor. Wir standen etwas abseits von ihm. Ich betrachtete das Publikum- von der Bühne aus noch respekteinflößender.

Die Bühne.

Das Publikum- von der Hälfte des Saals fotografiert, wo wir zunächst saßen.


Er war fertig mit seiner kleinen Ansprache. Ich wollte keine peinliche Pause entstehen lassen und schritt entschlossen - wenn auch selbst verwundert über mein Handeln - zum Mikrofon. Die Scheinwerfer schienen warm und grell in mein Gesicht- so sah ich wenigstens das Publikum nicht. Ich hatte nichts einstudiert- also eigentlich keine Ahnung was ich jetzt sagen würde und schon gar nicht wie auf Russisch. Ich redete also einfach mal drauf los: „Hallo! Wir sind auch aus Deutschland und werden auch von Deutschland erzählen.“ Nicht viel, aber es reichte- schließlich war die vorherige deutsche Ansprache lang genug gewesen. Katja sah mich lächelnd an und meinte. „Alles richtig!“ Ich hatte also auf einer Bühne, vor einem gefüllten Saal aus dem Stegreif einen grammatisch korrekten Satz gesagt. Jeha! Aber nochmal brauch' ich das nicht…
Es stellten sich noch viele weitere Ländervertreter vor. Unter anderem: Türkei, Afrika, Polen, Schweden, Norwegen, Armenien, Amerika, Schweiz, Italien, Spanien usw…
Es wurden noch Fotos geschossen wie alle beisammen stehen, bevor wir endlich die Bühne verlassen konnten.
Wir bekamen ein Papier in die Hand gedrückt. Ein Zeitplan. Darauf stand geschrieben, zu welcher Uhrzeit welche Sprachen präsentiert wurden. Uns war mittlerweile aufgegangen, dass wir nicht erst Morgen über unsere Muttersprache sprechen würden, sondern bereits heute. Wir waren nur halbwegs vorbereitet. Das könnte ja was werden…
Erleichterung tat sich auf als Katja entnervt ankam und meinte die Organisatoren hätten uns nicht mit eingeplant und wir könnten bis um fünf tun, wonach uns der Sinn stünde, aber Punkt fünf hätten wir am YFU- Präsentationsraum zu sein. Juhuu! Wir müssen nicht vor einem gefüllten Klassenzimmer auf Russisch herumstottern, was die deutsche Sprache ausmacht.
Wir (bestehend aus: 3 Deutschen, einem Schweizer, einer Amerikanerin und einer Italienerin) gingen ins Stadtzentrum. Dort kaufte ich mir etwas tschuwaschisches Konfekt, in welches ich mich verliebt habe. Ich finde den mit Haselnuss/Schokoladencreme gefüllten Keks, überzogen von Vollmilchschokolade und Haselnussstückchen leckerer als alles was ich bisher an Konfekt probieren durfte.
Wir spazierten etwas am Ufer des Seitenarmes der Wolga entlang. Es war ein sonnig warmer Tag.



Wir waren pünktlich um 5 wieder in der Universität. Dort wartete ein freundlicher Herr auf uns, dem „Hiobsbote“ praktisch auf der Stirn geschrieben stand. Er meinte wir könnten in zehn Minuten eine Präsentation halten. Er sah uns eindringlich an, so dass wohl eher von müssen als von könnten die Rede war.
So machten wir uns notgedrungen auf den Weg zu dem Klassenzimmer, in welchem wir nun sprechen mussten. Vor dem Klassenzimmer begrüßte uns ein ausgelassen fröhlicher Mann. Er meinte: „Ik bin ooch Deutscha, wa!“ Alles klar- Berliner. Er erzähle, dass er hier seit 5 Jahren leben würde und fand faszinierend wie man sich in einem so zarten Alter zu dem Abenteuer eines Austauschjahres entschließen kann. Auch den Deutschen, welcher an meiner Schule bereits gesprochen hatte, traf ich wieder. Wir alle gingen ins Klassenzimmer. Die einzigen Sprachsicheren überließen uns das Reden. Super. Und ich hatte gehofft, dass wir durch die zwei Männer entlastet werden würden.
Sophia sprach zunächst über Dialekte und die Geschichte der deutschen Sprache. Clemens vermittelte einfache Sätze wie: „Guten Tag!“ Oder „Ich liebe dich.“ Anschließend sprach ich darüber, dass es einige deutsche Worte in der russischen Sprache gibt zB.: Wunderkinder, Butterbrot, Absatz, Buchgalter (Buchhalter), Galstuk (Halstuch- hier aber Krawatte), Gastarbeiter … .
Anschließend stellten wir uns der Fragenflut der neugierigen Zuhörer. Zum Glück hatten wir die zwei Männer an unserer Seite, welche uns bereitwillig übersetzten. Dennoch versuchten wir so gut es ging selbst zu antworten und zu verstehen. Es wurden unzählige Fotos von und mit DEN Deutschen geschossen.
Nach der Präsentation kamen ein paar Studentinnen auf mich zu und meinten: „Du lebst jetzt also schon ein Jahr hier…“ Ich :“Nein, den zweiten Monat.“ Die Reaktion: „Krass! Man hört manchmal keinen Akzent wenn du sprichst!“ Ich „Danke!“ Daraufhin die Studentinnen: „Schon wieder!“ Die übrigen Austauschler hatten das Gespräch mitbekommen. Jetzt fingen die auch noch damit an wie gut ich Russisch könne und wie deprimierend es sei, dass sie es nicht so gut können würden. Ich kann nicht gut Russisch!

Dennoch führten die Erfolge und Komplimente dazu, dass ich mich mit einem breiten Grinsen – bis über beide Ohren- auf den Heimweg machte.
In der Wohnung wurde ich von Dascha, Gastmutter, „Oma“, dem Schwager meiner Gastmutter und einer weiteren Oma begrüßt. Volles Haus. Ich wurde freundlichst begrüßt. Anschließend wurde mein gekochtes deutsches Mittagessen sehr gelobt- und dabei waren es doch nur olle Bratkartoffeln.
Als Ksjoscha nach Hause kam, war sie in Begleitung ihres Bruders und zwei seiner Kumpel. Ksjoscha meinte, die beiden wollten mich unbedingt kennen lernen. Sie heißen Schenja und Schenja. Zwei Menschen –ein Name. Der eine Schenja war vor kurzem für 3 Monate in Amerika.
Während die Kerle sich an der gut gefüllten Essentafel vergnügten, erzählte ich Ksjoscha wie mein Tag war. Wie abgedreht und unorganisiert. Es sprudelte aus mir raus. Und während ich so sprudelte, kamen die Kerle ins Zimmer. Man sah mich mit großen Augen an. Schenja (welcher in Amerika war) sprach mich auf englisch an und meinte, er wolle sein Englisch auffrischen. Ich unterhielt mich mit ihm auf englisch. Zwischendurch fragten die anderen mich etwas auf russisch- ich antwortete russisch. Schenja hielt inne, grinste und meinte: „Du bist ein Spion!“ Ich irritiert aber grinsend „Was? Bist du blöd? Wieso glaubst du das denn?“ Er „Englisch kannst du. Deutsch kannst du. Wenn du russisch sprichst, hat man teilweise den Eindruck du würdest hier leben - als wäre es deine Sprache und schön bist du auch noch- Spion!“ Ich lachte, bedankte mich und unterhielt mich weiter mit ihm. Schenja ist bereits 20 und als ich ihm aufzählen musste welche Länder ich bereits bereist habe meinte er: „Ich fühle mich wie ein kleiner Junge neben dir!“ Ich musste erneut lachen. Erfrischend. Jemand der älter ist als ich- jemand der auch Austauschler war und mit mir auf einer Wellenlänge ist. Wir unterhielten uns noch ein Weilchen- wobei er merkte, dass mein Russisch doch nicht so perfekt ist wie zunächst geglaubt.
Gegen 10 verließen alle Gäste die Wohnung. Ein anstrengender, erfolgreicher, prägender Tag ging zu Ende. Ich habe auf ein Kind aufgepasst, stand auf einer Bühne, habe mich Fragen gestellt und für einen Spion erklären lassen. Und heute früh wusste ich gerade mal, dass ich auf Dascha aufpassen würde…

Am Sonntag gingen Ksjoscha und ich für ihre Mutter einkaufen. Dascha hat die Windpocken. Ein niedlicher Anblich, denn diese Krankheit wird hier mit einer grünen Paste behandelt- Dascha ist am ganzen Körper grün gepunktet. :) Jedenfalls musste deshalb meine Gastmutter auf sie aufpassen, da Dascha bereits eitel ist und ihre Erscheinung keinem zeigen will.
Das erste mal dass ich Eier ohne Karton drum herum gekauft habe. 10 Eier in einer Plastik Tüte. Seltsam.
Anschließend gingen wir Natascha zum Geburtstag gratulieren. Im McDonalds, welch' wunderbarer Ort um seine Geburt zu feiern… *hust*
Im McDonalds erkannten mich einige Studentinnen wieder. Es bildete sich eine Ansammlung um mich. Ksjoscha und Freundinnen sahen mich erstaunt an. Keine Zeit darauf zu reagieren. Man quatschte mich von allen Seiten zu. Eine fragte ob ich irgendetwas aus Deutschland bei mir hätte, was ich ihnen evtl schenken könne. Ich schenkte ihnen eine Busfahrkarte. Diese sehen hier wirklich komplett anders aus. Sie freuten sich riesig und zogen angeregt quatschend ab.
Der Sonntag war entspannt.

Liebste Grüße vom Lottchen

Fazit: „In Russland scheint das Motto: „Erwarte das Unerwartete!“ zu gelten…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen