Der Sonntag Vormittag verlief ohne besondere Ereignisse.
Um 17:00 Uhr wurde ich von Schenja (welcher mich eine Woche zuvor als Spion bezeichnete) zum Theater abgeholt. Es mag seltsam klingen: 16 jähriges Mädchen geht mit 20-jährigem Russen ins Theater- ohne weitere Begleitung. Aber Schenja ist wirklich ein beispielhafter Gentleman- ihr werdet es noch lesen.
Wir stiegen in ein Taxi. Also ein altes Auto mit Taxometer und Fahrer. Wir unterhielten uns auf Englisch. Schenja war erst kürzlich in Amerika gewesen und will seine Englischkenntnisse nicht in Vergessenheit geraten lassen. Mir soll das nur recht sein, denn ich merke, wie mein eigenes Sprechvermögen in dieser Sprache langsam aber sicher einrostet. Der Fahrer linste interessiert in den Rückspiegel. Während unserer englischen Unterhaltung wechselte Schenja ab und zu ins Russische, da ihm bereits einige Vokabeln entfallen waren. Der Fahrer linste noch interessierter. Schließlich fragte er Schenja:
„Woher ist sie?“
Schenja: „Aus Deutschland.“
Fahrer: „Sie spricht wirklich gut Englisch- und Russisch anscheinend auch!“
Ich: „Vielen Dank!“
Schenja: „Ich sag' doch du bist ein Spion!“
Der Fahrer grinst und ich streite es erneut mit einem Lächeln ab.
Im Theater sahen wir eine Komödie - sehr lustig! Ich verstand immerhin grob die Handlung.
Auf dem Weg zum Restaurant unterhielten wir uns. Schenja meint das nächste mal müsse er mir unbedingt ein tschuwaschisches Theater zeigen - im allgemeinen habe ich das Gefühl, dass er sich zu meinem persönliche Touri-Guide erklärt hat…mir solls recht sein! :) Schließlich fragte ich ihn wie sein vollständiger Name sei. Er nannte ihn. Ich sah ihn an. Er nannte ihn erneut. Das kann ich niemals im Leben aussprechen! Zu meiner Erleichterung bot er mir an, ihn Jack zu nennen, wie es auch seine Freunde in Amerika taten.
Wir gingen in ein Restaurant, welches Gerichte aus Usbekistan anbietet. In solch einem war ich noch nie. Jack wählte aufgrund meiner Unerfahrenheit und des Unverständnisses der russischen Speisekarte ein Gericht für mich aus- sehr lecker! Ich aß Teigtaschen, welche mit Gehacktem gefüllt waren und dazu saure Sahne.
Wir schwatzten den gesamten Abend. Es hatte etwas von einem Wiedersehen mit einem langjährigen Freund. Er meinte schließlich, dass man mir nicht anmerke erst 16 zu sein – er habe das Gefühl mit einer Gleichaltrigen zu reden. Wie gesagt, seine Gegenwart ist sehr erfrischend- mal kein Milchbubi. Er ist permanent positiv gelaunt, lacht viel und redet viel. Er gab mir noch ein paar Tipps was das Leben in Russland betrifft. Erste goldene Regel ist, sich vor den männlichen Geschöpfen hier in Acht zu nehmen. Er meinte er selbst würde 3 mal in der Woche zum Kampfsport gehen, dadurch fühle er sich sicherer. Und wenn ich wolle, würde er mich mal dort hin mitnehmen. Zweite Goldene Regel: Wer in Russland versucht Vegetarier zu werden könne sich gleich den goldenen Schuss setzten- so meinte er. Der Winter ist kalt- da muss energiehaltige Nahrung aufgenommen werden. Und dann sagte er noch etwas, was mich sehr zum Nachdenken anregte: „Russland kann man nicht mit dem Verstand verstehen- nur mit dem Herz.“ Ich enthalte mich an dieser Stelle jedes Kommentars und lasse den Satz als einzelnen wirken.
Um zehn war ich wieder im russischen Heim. Er ließ es sich nicht nehmen, mich direkt vor die Wohnungstür zu begleiten - schließlich könnte der Fahrstuhl stecken bleiben!
Wunderbarer Abend- ich habe mich bestens amüsiert und ich musste nichts bezahlen- auch keine einzige Tür musste ich selbst öffnen. Eine prima Art seinen 2 monatigen Aufenthalt in Tscheboksary zu feiern.
Am Montag kündigte sich hoher Besuch an. Wie gesagt, immer wenn ich glaube zu wissen, was auf mich zu kommt passiert etwas Unerwartetes. So glaubte ich am Montag noch, dass mir eine entspannte, fast langweilige Ferienwoche bevorstünde- doch da kündigt sich der Mann meiner Gastmutter an. Zur Zeit arbeitet er in Murmansk, weshalb ich ihn noch nie gesehen hatte. Aber so viel weiß ich: Er bedeutet alles für meine Gastmutter. Ich fühle mich auf eine Art Probe gestellt. Meine Russischkenntnisse, mein Auftreten usw.. Bisher weiss er nicht mehr, als dass ich aus Deutschland komme und bereits auf seine Tochter aufgepasst habe. Als meine Gastmutter ihm neulich davon berichtete, fragte er nur, ob sie noch ganz richtig im Kopf sei. Seine Tochter einer Fremden anzuvertrauen!
Ich war also den ganzen Tag etwas hibbelig- wobei „etwas“ untertrieben ist.
Um 10 Uhr stand er dann in der Tür. Er ist mindestens 1,90m groß und schlank- im allgemeinen ein gutaussehender Mann. Er gab eine eindrucksvolle Erscheinung ab: langer, dunkler Mantel, Fellschapka, schwarzes, festes Schuhwerk. Sowohl diese, als auch die Kleidung welche nach Ablegen des Mantels zum Vorschein trat, waren eine Uniform- was meine Hibbeligkeit nicht gerade minderte. Seine Worte waren: „Guten Tag! Sehr erfreut.“ Ein sympathisches Schmunzeln huschte ihm dabei über die Lippen.
Wir aßen zu Abend. Dascha saß auf dem Schoß ihres Vaters, wie ein kleiner König auf seinem Thron. Immer wiederholte sie: „Das ist mein Papa und nicht eurer! Mein Papa! Ich liebe meinen Papa!“
Besagter Papa richtete das Wort an mich. Und meinte er habe nun drei Töchter- Dascha, Ksjoscha und mich. Er begann von Gemeinsamkeiten zwischen russischer und deutscher Mentalität zu sprechen. Er redete viel und klug- was mich wiedereinmal spüren ließ, wie wenig ich verstehe. Er scherzte oft. Zum Beispiel sah er den Apfelkuchen auf dem Tisch an. „Ist das nicht Scharlottka?“ Und sah mich (Scharlotta) dabei grinsend an. Im Verlauf des Abends meinte er: „Dann lasst uns mal die Scharlottka anschneiden!“ Sieht mich an und sagt: „Jetzt musst du rufen: „nneeiiin! Bitte nicht!“
Im allgemeinen ist er als sehr gebildeter, fröhlicher und witziger Mann zu beschreiben. Dennoch ist das Gefühl, geprüft zu werden, nicht ganz verschwunden.
10 Tage wird er geschäftlich in Tscheboksary zu tun haben und dann wieder nach Murmansk fliegen.
Am Dienstag ging Dascha wieder zum Kindergarten. Die letzte Woche war sie immer zu Hause gewesen und wurde vom Mütterchen betreut, da Dascha Windpocken hatte.
Dennoch war es kein gewöhnlicher Kindergartentag für das kleine Mädchen. Sie wurde von ihrem Vater hingebracht. Sie grinste bis über beide Ohren, als ihr Held (wieder in eindrucksvoller Uniform) sie an die Hand nahm und mit ihr die Wohnung verließ.
Meiner Gastmutter hingegen ging es trotz Anwesenheit ihres Mannes nicht gut. Den ganzen Vormittag saß sie nervös in der Küche und lernte. Sie würde eine Prüfung ablegen müssen, welche aus vier Teilen besteht. Es ist eine Prüfung für Grundschullehrer- soweit ich verstanden habe und ist nur in Tschuwaschisch abzulegen.
Sie las einige Fragen vor und so viel kann ich mal sagen: Wenn sie die Prüfung besteht, kann sie auch an einer Universität unterrichten. Am Dienstag würde sie den ersten Teil schreiben. Sie hatte bereits die gesamte Flasche Beruhigungstropfen ausgetrunken- doch man sah ihr an, dass sie nicht wirkten. Ich versuchte sie zu beruhigen, in dem ich ihr sagte das alles gut werden würde- schließlich habe sie bereits Lehrerfahrung.
Es war ein entspannter Tag. Ich schrieb etwas an meinem Blog, skypte mit meinem Freund und zappte durch das russische Fernsehprogramm.
Am Abend gingen wir noch zu Ksjoschas Vater, da Jana (die Tochter seiner Lebensgefährtin) ihren 11. Geburtstag feierte. Wir aßen ausgiebig, unterhielten uns und gingen nach zwei Stunden wieder.
Am Mittwoch arbeite ich etwas für den Deutschleistungskurs, welcher mich nach meinem Austauschjahr erwarten wird, vor. Ich las etwas in „Hamlet“ .
Dann ging ich zu meinem Sport. Schrecklich. Monatsanfang bedeutet auch ein neues Sportprogramm- wieder neue, seltsame Verrenkungen die keiner wirklich nachmachen kann.
Gute Nacht!
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