Sonntag, 16. Januar 2011

Von alten Büchern und Münzen...

„Alles Gute zum Geburtstag!“ wünschten mir meine Gastmutter und Dascha am Dienstag. Beide waren erst Montagabend zurückgekehrt und nun umarmten sie mich freudestrahlend. Meine Gastmutter ist doch eher als respekteinflößende Person zu beschreiben. Zwar fröhlich und oft scherzend, aber sie weiß ihren Willen durchzusetzen. Vermutlich bemerke ich deshalb nur selten, dass sie kaum größer als Xjuscha (verbesserte Schreibweise) – also etwa einen halben Kopf kleiner als ich - ist. Niedlich. Den restlichen Tag klebte Dascha an meinem Rockzipfel und meinte immer wieder sie habe mich vermisst. Niedlicher.

Es ist schon etwas tragisch, ausgerechnet an seinem Geburtstag wieder zur Schule zu müssen. Zudem schien sich Keiner an meinen Freudentag zu erinnern - aber wen wundert das schon, denn schließlich waren meine ersten beiden Stunden Algebra und Geometrie. Nicht nur, dass ich von Natur aus eine gewisse Abneigung gegen Mathematik hege, nein, auch die Klasse und die Algebralehrerin sorgen dafür, dass ich Matheunterricht noch mehr verabscheue.
Auf dem Weg zum Physikklassenzimmer traf ich Mitschüler meiner Klasse. Als sie mich erkannten, rannten sie auf mich zu, umarmten mich und schrieen laut: „Alles Gute zum Geburtstag!“ Man beschenkte mich sogar mit Lidschatten, Schokolade und Büchern. Zu den Geschenken waren jeweils Glückwunschkarten beigelegt, welche mich, um ehrlich zu sein, mehr erfreuten, als das eigentliche Geschenk. So las ich unter anderem davon, wie sehr man sich darüber freue, dass ich hierher gekommen sei, und man mich nicht mehr zurück nach Deutschland lässt. So etwas zu lesen macht schon wahnsinnig froh!
Meiner Klassenlehrerin lief ich in der darauffolgenden Pause über den Weg. Sie strahlte mich an, beglückwünschte mich und beklebte meine Hand mit bunten Stickern. Anschließend schleifte sie mich vor meine Klasse und hielt eine Ansprache, dass heute mein Geburtstag sei und man mir jetzt gratulieren müsse. Da dies bereits auf freiwilliger Basis von allen erfolgt war, verkündete sie, dass nun gesungen werde: „Happy Birthday to you!“. Gefolgt wurde das Ständchen von einer kleinen Rede ihrerseits, in welcher sie etwa folgende Worte verlauten liess:
„Scharlotta, alles Gute zum Geburtstag! Ich wünsche dir Glück, Fröhlichkeit, viele Freunde, Gesundheit und Erfolge beim Erlernen der russischen Sprache. Wir sind froh, dass du hier bei uns bist. Es scheint, als seien alle Menschen in Deutschland gut und freundlich - zumindest wenn sie so sind wie du…“
An den genauen Wortlaut kann ich mich leider nicht mehr erinnern, aber der Sinn ist der selbe. Wie auch immer. Ich freute mich natürlich über die Worte und bedankte mich mehrfach.
In den übrigen Pausen lief mir noch eine Zehntklässlerin über den Weg:
„Hey! Du bist doch die Deutsche?“
„Ja - wieso?“
„Alles Gute zum Geburtstag!“
„Eh…Danke!“
Und damit war sie auch schon wieder verschwunden. Sonderbar, aber durchaus erfreulich.
Des weiteren kamen noch zwei Schülerinnen der 6. Klasse (meiner Russischklasse) auf mich zu:
„Wir gratulieren dir zum Geburtstag!“ Und überreichten mir eine Schachtel Schokopralinen - jeha!

Im russischen Heim angekommen, liess ich mir ein Stück meiner selbstgebackenen Scharlottka schmecken. Ja, ihr habt richtig gelesen: Ich habe Scharlottka selbst gebacken. Und das witzige dabei ist, dass meine Gastmutter und die „Oma“ total begeistert waren über die fluffige Konsistenz des Apfelkuchens und unbedingt wissen wollten, was ich gemacht habe, da diese Konsistenz nur sehr schwer hinzubekommen sei und nur den wenigsten gelinge. Aber das verrat' ich natürlich nicht - hihi.
Nach dem Verzehr meines Quasigeburtstagskuchens, ging ich in Xjuschas und mein Zimmer. Auf meinem Laptop lag ein Paket. Xjoschas Geburtstagsgeschenk an mich. Ich öffnete es und fand darin ein paar wundervolle Ohrringe. Gelobt sei der Modegeschmack meiner Gastschwester! Ich legte die Ohrringe zurück und umarmte meine Gastschwester fast stürmisch - aber nur fast, da ich etwas Angst hatte sie könnte mir zerbrechen (sie ist wirklich schrecklich dünn).

Abends holten meine Gastmutter und ich ENDLICH mein Paket ab. Meine Gastmutter war von uns eingeweiht worden, dass wir erzählt hatten, sie komme erst in 1 ½ Monaten wieder und sie spielte ihre Rolle wirklich gut. Als wir endlich an der Reihe waren, fragte man sie verwundert, warum sie so früh hier sei. Sie antwortete mit wichtiger Miene, dass sie extra aus Murmansk hergekommen sei, nur damit man „dem Kind“ endlich das Paket seiner Eltern gäbe. Ha! Das hat gesessen. Der Gesichtsausdruck der Zuständigen wurde etwas weicher und fast entschuldigend. Sie überprüfte die Identität meiner Gastmutter und holte anschließend einen großen, verschlossenen Plastiksack aus einem anderen Zimmer. Man hatte mir bereits vorher erklärt, dass man besonders große Pakete noch einmal in solchen Säcken verpacke, um Diebstahl zu verhindern. Sie zerschnitten den Sack und wogen das Paket, um zu überprüfen, ob es immer noch 10 Kilo waren. Alles paletti. Man händigte uns das Paket aus, wir packten es auf einen Schlitten und kutschten es zur Wohnung.

Ich öffnete mein Weihnachts-/ Geburtstagsgruß aus meiner Heimat. Zunächst verteilte ich die Geschenke. Eine neue Pfanne für meine Gastmutter, da sie sich immer über das alte Bratgerät aufgeregt hat. Sie schien sehr verblüfft zu sein - seit jenem Tag fantasiert sie, was man nicht alles in der neuen Pfanne zubereiten könne, aber bisher ist sie unbenutzt.
Xjuscha bekam T-Shirts aus H&M. Dieses Geschäft scheint es in Russland nur 3 mal zu geben (2 in St. Petersburg, 1 in Moskau), umso mehr wünscht sich hier jedes Mädchen Kleidung aus besagtem Modeladen, welchen es bei uns an jeder Straßenecke zu geben scheint.
Dascha bekam Fingerpuppen, welche sie quietschend in Empfang nahm.
Des weiteren befand sich in dem Paket noch jede Menge Naschzeug, wie Weihnachtsgebäck, Gummibärchen und Milkaschokolade. Gummibärchen habe ich hier übrigens noch nicht gesehen.
Auch warme Socken, der selbstgemachte Kalender meiner Mutter, jeweils ein Schreiben meiner Großeltern und meiner Eltern und das beste Geburtstagsgeschenk, welches ich jemals bekommen habe. Meine Schwester schickte ein kleines Album. Auf jeder Seite befindet sich ein Bild einer meiner Freunde und ein selbstverfasster Gruß von besagtem Freund. Ich war überrascht, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Wunderbar!
Also fassen wir, den Empfang des Paketes, zusammen: Danke! Ich hab euch lieb! Auch meine Gastfamilie lässt tausend Dank ausrichten.
Anschließen skypte ich mit meiner Familie - diesmal mit meinen Eltern, meinen Großeltern mütterlicherseits, meiner Schwester und ein paar Freunden, welche Therry eingeladen hatte. Das Internet ist wirklich schrecklich nervig. Immer wieder bricht die Verbindung ab, so dass wir beschlossen, später über Skype zu telefonieren. Inzwischen war auch die „Oma“ und ihr Lebensgefährte eingetrudelt. Wir aßen gemeinsam. Man sprach wieder Reihum seine Geburtstagswünsche aus - wiedereinmal wunderbar zu hören, dass man mich gern um sich hat. In dem Sinne: Prost!
Anschließend quatschte ich noch lange mit meiner Schwester über Skype, bevor ich glücklich zu Bett ging.

Es ist schon fast schrecklich, wie schnell die Zeit verfliegt.
Am Mittwoch verließ die Amerikanerin Cheboksary in Richtung Heimat. Gerade mal 4 Monate war sie hier gewesen und es schien, als sei man erleichtert über ihre Abreise. Jedenfalls unterhielt ich mich mit meiner Englischlehrerin (YFU- Freiwilligen) und diese konnte ihre Erleichterung gar nicht in Worte fassen. Sie meinte, dass sie sehr froh sei, dass ich ein Jahr bleibe und nicht die Amerikanerin. Sie meinte mit Amerikanern scheine es – egal über welche Austauschorganisation- immer Stress zu geben.

Auch an diesem Abend war die „Oma“ bei uns zu Besuch. Sie hatte den Tag meines Geburtstags verwechselt, weshalb sie gestern erst angefangnen hatte Pirogen zu backen, was zur Folge hatte, dass sie am Mittwoch erst fertig waren. Wir feierten meinen Geburtstag ein zweites Mal. Meine Gastmutter schaltete die Stereoanlage ein und meinte: „So jetzt wird getanzt!“ Dascha ließ sich das nicht zweimal sagen und hüpfte fröhlich drauflos. Ich muss zugeben, es ist etwas gruselig, wie sehr mich Dascha an mein Kleinkindalter erinnert und noch gruseliger ist, dass Xjuscha ein bisschen meiner Schwester gleicht.
Während der Tanzrunde beschloss meine Gastmutter noch einen Reigen aufzuführen, welcher hier an Namens- bzw. Geburtstagen aufgeführt wird. Das Geburtstagskind wird in die Mitte gestellt. Alle Anderen fassen sich an den Händen, gehen im Kreis um das Geburtstagskind und singen:

„An Charlottes Geburtstag
Haben wir einen Laib gebacken:
So ein Hoher (man nimmt die Arme nach oben)
So ein Tiefer (bückt sich nach unten)
So ein Breiter (vergrößert den Kreis)
So ein Schmaler (tritt bis an das Geburtstagskind heran)
Laib, Laib, wähle aus wen du liebst.“ (der im Kreis Stehende fordert eine andere Person auf den Kreis zu betreten)

Übersetzt klingt es etwas merkwürdig aber „Laib“ ist „karawai“ auf Russisch und wähle aus „wuibirai“, womit die letzte Strophe heißt:
„Karawai, karawai, kowo ljubisch wuibirai!“ Es gibt also einen Reim und hört sich nicht seltsam an.

Am Freitag lud die Musiklehrerin Xjuscha und mich ein, gegen 14 Uhr das Musikkabinett aufzusuchen. Wir hatten keine Ahnung was uns erwartet. Kurz zusammengefasst: Xjuscha und ich machen jetzt beim Konzert zum „Tag der Offenen Tür“ der Schule mit - und dass obwohl wir gar nicht singen können…na klasse…
Um 15 Uhr war ich mit Natascha am Kino verabredet. Wir sahen „The Tourist“ – den neuen Film mit Johnny Depp und Angelina Jolie. Super Film! Ich find´s wirklich prima, dass ich mittlerweile viel verstehe.

Am Samstag, nach der Schule, besuchten wir Xjuschas Vater. Wir plauderten über dies uns das, bis er mich schließlich fragte ob ich mir ein altes Kirchenbuch ansehen wolle. Ich stimmte zu und war überwältigt - das tatsächliche Alter des Buches kenne ich nicht:

Der Buchdeckel


So dick, wie eine Handbreite.



Das Buch ist übrigens nicht in Latein verfasst, sondern in einer Art "Altrussisch", welches man heute kaum noch lesen/ verstehen kann- in etwa wie unser Altdeutsch.


Danach holte er noch eine alte Münzensammlung hervor. Rubel aus der alten Sowjetunion. Ca. 3cm Durchmesser und nicht gerade die Leichtesten - viel davon kann man nicht mit sich herumgetragen haben. Sehr faszinierende Münzen. Sie sind wie kleine Bilder. Auf einigen ist Lenin, Marx, Engels oder Puschkin abgebildet. Auch St. Petersburg oder der Rote Platz sind auf den Geldstücken abgebildet. Ich musste schmunzeln, als ich an die kleine, leichte Ostmark dachte.
Er fragte mich:
„Scharlotta, magst du Puschkin?“
„Ja.“ (alles andere sollte man in Russland sowieso nicht sagen, denn dieses Volk besitzt einen gewissen Stolz bezüglich dieser Persönlichkeit)
Er grinste und schenkte mir eine Münze, auf welcher der Kopf Puschkins abgebildet ist. Ich bedankte mich und muss zugeben, dass – obwohl ich mich sonst gar nicht für Münzen interessiere- mich dieses Geschenk wirklich erfreut.




Meine Einrubelmünze aus dem Jahr 1984.





"CCCP" wird "SSSR" ausgesprochen und bedeutet übersetzt Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken.





Noch eine Antwort auf eine Leserfrage:

„Wie viel kostet Benzin?“

Der Liter Benzin kostet zwischen 20 und 30 Rubel. Umgerechnet also 50/ 75 Cent.


Fazit: „Hilfe…oder juhu?! In einem Jahr bin ich volljährig!“

Liebste Grüße von eurer glücklichen Lotte


PS.: Hier noch ein Anhang zum Thema Post. Ich habe noch zwei Briefe bekommen. Einen Brief meiner Großeltern mütterlicherseits und einen von einer Freundin- vielen Dank. Übrigens scheint ein Brief zwischen zwei und vier Wochen- selbst mit Luftpost- unterwegs zu sein.
Hier noch ein paar Bilder:






Der Brief, welchen ich an meine Eltern sendete. Aufgrund etwas unfähiger Postfrau kleben nun 11 Briefmarken drauf statt üblichen 4.





Postauto

Und noch ein besonderer Gruß an meine Tante, welche am 13.1. Geburtstag hatte- Alles Gute nachträglich! :)

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