Samstag, 22. Januar 2011

angetrunkene Lehrer...

Die erste Stunde meines montägigen Schultages war Russisch. Wieder mal kamen einige Schüler zu spät und entschuldigten ihr Zugspätkommen mit der Ausrede, dass die Wege hier schlecht geräumt seien. So kamen wir also auf das Thema russische Straßen zu sprechen, was schließlich in einer Lobeshymne, der Lehrerin, auf deutsche Straßen endete. Ich musste grinsen- sie sagte es etwa, wie folgt:
„Och! Die Straßen und überhaupt die Wege in Deutschland! Traumhaft! Gerade und ach einfach wunderbar… ich war mal in Leipzig, als noch DDR war… . Es gibt da sogar Fahrradwege! Könnt ihr euch vorstellen?! Kleine Wegeabschnitte extra für Fahrradfahrer! Ach ja… Leipzig… da gibt es eine Zoo! Einen wunderbaren Zoo…“
Und einmal den Plauderton angeschlagen besprachen wir gleich noch ein weiteres Thema: die gestiegenen Kosten für Öffentliche Verkehrsmittel. Ja, der Kapitalismus macht auch vor Cheboksary nicht halt und so sind die Kosten eines Trolleybustickets um einen Rubel gestiegen- bei einer Marschrutka sogar um 2 Rubel. Das hat Auswirkungen auf die Monatskarte. Statt den üblichen 330 Rubel (8 Euro) müssen wir jetzt 500 Rubel (12 Euro) blechen. Eigentlich bekommt man ca. die Hälfte zurückgezahlt, wenn die Eltern ein entsprechendes Schreiben verfassen. Da das mit dem Schreiben meiner Eltern so ´ne Sache ist, regelt das meine Gastmutter für mich.

In einer Pause suchte ich das Zimmer der Deutschlehrerin auf. Ich habe euch noch gar nicht erzählt, dass ich diese Frau wirklich sehr gern habe. Sie ist stets gut gelaunt, hilfsbereit und hat etwas von einer lieben, deutschen Oma, welche ihren Enkeln Märchen vorliest und mit Keksen verwöhnt. Wir plauderten etwas. Sie sagte mir, dass ich Mitte Februar einen Vortrag zum Thema „Deutschland“ halten dürfe- 30 Minuten und das auf Russisch. Super… Außerdem schenke sie mir Hörkassetten und ein Buch mit Puschkinschen und Oneginschen (Ewgeni Onegin) Gedichten. Sie meinte es sei wichtig zu lesen und zu hören, dass würde die Sprachfähigkeit verbessern. Ich bedankte mich, denn ich freue mich wirklich über diese Aufmerksamkeit.

Am Dienstag erfuhr ich, dass an unserer Schule für zwei Wochen „die Kommission“ sein wird. „Die Kommission“, wie sie hier immer nur ehrfürchtig genannt wird, beurteilt das Gymnasium- Unterricht, Einhalten der Kleidungsvorschriften usw. werden zur Kenntnis genommen.
Außerdem haben jetzt alle einen neuen Stundenplan. Ich war übereifrig und habe mir meine Stunden selbstständig heraus geschrieben und zu einem Stundenplan zusammen gefügt. Als ich meine YFU- Zuständige bat mir einen neuen Stundenplan zusammenzustellen, da ich an eineigen Tagen sehr wenige Stunden habe oder sich Unterrichtsfächer überschneiden, warf sie einen Blick auf meinen selbstzusammengebastelten Stundenplan und meinte, dass sie ihn noch einmal überarbeiten werde, aber vorerst wäre der völlig in Ordnung- so wie ich sie kenne, wird sie ihn nicht überarbeiten.


Nach der Schule ging’s zum Zahnarzt. Ich hatte das Gefühl ein Loch im Zahn zu haben und ehe es beginnt zu schmerzen informierte ich meine Gastmutter. Nun hört man so einiges über russische Medizin… ich musste schon einmal in Deutschland bohren über mich ergehen lassen, weshalb ich eine Heidenangst vorm Zahnarztbesuch hier hatte.
Wir gingen in die Polyklinik. Wie gesagt, so etwas wie eine kleine Arztpraxis scheint es hier nicht zu geben (oder nur sehr selten).
Am Eingang mussten wir blaue Plastikstulpen über unsere Straßenschuhe ziehen- das ist hier in medizinischen Einrichtungen üblich. Mit den lustigen Plastiktütchen an den Füßen stiefelten Xjuscha und ich zum Zimmer des Zahnarztes. Ich verabschiedete mich von Ksjoscha mit den Worten: „War schön dich kannengelernt zu haben…“ und betrat das Zimmer:
Eine junge, gutaussehende Ärztin begrüßte mich und meinte ich solle Platz nehmen. Der Raum war zwar klein, aber eingerichtet wie eine mir bekannte Zahnarztpraxis. Nur die Frage der Zahnärztin an die Schwester verunsicherte mich:
„Ist das Besteck benutzt?“
Zahnärztin: „Äh…nein…doch- doch!“
Dennoch nahm ich platz und erklärte ihr, dass ich befürchte ein Loch im Zahn zu haben. Sie sah in sich an und beruhigte mich, indem sie meinte, dass ich noch rechtzeitig vor der Entstehung eines Loches vorbeigekommen wäre. Sie erklärte mir anschließend auf russischem Fachchinesisch was sie jetzt dagegen unternehmen würde. Ich verstand nichts und fragte deshalb nur: „Wird es weh tun?“ Antwort: „Nein.“ Gut- mehr brauchte ich nicht wissen.
Sie versiegelte den Zahn und meinte ich solle am Donnerstag wiederkommen.
Hier ein paar Bilder:
Plastiktütchen
Korridor
Rezeption


Um drei fand ich mich wieder in meiner Schule ein. Katja (YFU- Zuständige) hat ein Treffen der YFU- Austauschler einberufen. Gemäß deutscher Pünktlichkeit verspäteten sich zwei Mädels eine Stunde, was Katja natürlich etwas verärgerte. Katja begrüßte mich übrigens mit den Worten: „Hey! Du hast abgenommen!“ Ich hätte die Frau knutschen können, denn ja das habe ich. Von 57 Kilo auf 53, womit ich jetzt wieder mein Ausgangsgewicht habe und mich pudelwohl fühle.. nur so am Rande… wo war ich? Ach ja: Wir saßen nun zusammen. Die Französin und die Amerikanerin sind bereits abgereist und der Junge, welcher in Kazan untergebracht ist war auch nicht da, so dass wir zu viert waren. Es ist viel passiert.
Ein Mädchen hat schrecklich zugenommen- bestimmt 7 Kilo! Sie hat übrigens die Gastfamilie gewechselt, da ihre Gasteltern sie gar nicht wollten und Sätze sagten wie: „Ich wünschte sie wäre in ihrem * piiep * Deutschland.“
Sophia spricht viel besser Russisch.
Clemens scheint sich mittlerweile völlig gegen Russland und seinen Austausch zu sträuben. Er spricht schlecht und kommt nicht aus sich raus. Allerdings scheint er auch eine weniger tolle Gastfamilie zu haben.
Katja fragte uns nun aus: Wie geht es euch? Kommt ihr zurecht? Was war schwer für euch? Was erwartet ihr vom restlichen Austauschjahr? Usw.
Fragen über Fragen. Mittlerweile führten wir das Gespräch auf Russisch, wobei einzelne Englische Vokabeln untergeschmuggelt wurden.
Katja ermunterte uns am Unterrichtsgeschehen teil zu nehmen und gute Noten zu schreiben. Ich bin wirklich die Einzigste, welche etwas für die Schule gemacht hat! Die Anderen beginnen erst jetzt zu lernen. Katja meinte, man solle sich eine Scheibe von mir Abschneiden und wiederholte die Lobeshymnen, welche meine Physik- und Biologielehrerin auf mich singen und nannte meine Noten. Ich grinste etwas verlegen.
Auf dem Weg zur Haltestelle unterhielten wir uns noch. Schrecklich, wie sehr mein Deutsch eingerostet ist! Über Skype zu reden oder Texte zu schreiben ist kein Problem, aber als ich mich unterhielt warf ich meinem Gesprächspartner einfache Wortgruppen hin oder quatschte einfach auf Russisch weiter.

Am Mittwoch sanken die Temperaturen auf –23 Grad ab. Wir hofften alle, es würden – 35 Grad werden, damit wir nicht mehr zur Schule gehen müssten.
Nach der Schule machte ich mich auf der Suche nach Kopfhörern für meinen IPod Shuffle. Das ist ein winziger IPod. Der ist so klein, dass die Knopfe zur Lautstärkeregulation ect. An den Kopfhörern angebracht sind. Also suchte ich nicht gewöhnliche Kopfhörer. Die verflixten Dinger scheint es hier nirgends zu geben- ich frage mich schon seit 2 Monaten durch Geschäfte. Verkaufsgespräch:
„Haben sie Kopfhörer für einen IPod Shuffle?“
„Für was?“
Ich hole die kaputten Kopfhörer raus und zeige sie.
„Nein. So etwas haben wir nicht. Wo haben sie die denn gekauft?“
„In Deutschland.“
Ein irritierter Blick folgt.
Genau so im Buchladen. Ich will mir ein Buch mit einem Hörbuch kaufen, um den ratschlag der Deutschlehrerin zu beherzigen und zu lesen und zu hören.
„Haben sie ein Buch mit CD zum Erlernen der russischen Sprache?“
„Hmpf. Russische Sprache? Nein. Wozu brauchen sie das denn?“
„Ich bin aus Deutschland und würde gerne..“
„Aus Deutschland! Nein wie interessant! Das merkt man gar nicht!“
Es tut jedes Mal verdammt gut, wenn man solches Feedback bekommt. Wobei einfache Gespräche mittlerweile wirklich kein Problem mehr für mich darstellen. Nur Sachverhalte erklären ect. Fällt mir noch schwer.

-25°C am Donnerstag. Dies hatte zur Folge, dass die Schüler der Grundschule keinen Unterricht hatten. Menno.
Zweite Stunde war Biologie. Es warteten Tee und Würstchen im Schlafrock auf mich und Vladimir. Die Biologielehrerin forderte mich hektisch dazu auf ordentlich zuzugreifen, denn schließlich sei sie selbst Mutter und da ich hier wäre und meine Mutter weit weg, wäre ich jetzt ihre Tochter und sie müsse sich jetzt um mich kümmern. Na klasse. Mache ich so einen hilfsbedürftigen Eindruck? Doch dann erklärte sie mir die Ursache für ihre Zuneigung zu meiner Person:
Ihr Vater war Deutscher. Ihre Schwester wohnt bei Dresden. Deshalb sei sie generell allen Deutschen sehr zugeneigt- außerdem sei sie selbst anders als die Anderen: ordentlich und pünktlich, so sagte sie. Hier Bilder des Vorbereitungskabinetts:


Zwischen Papierstapeln und Büchern herrscht hier noch wirkliche, deutsche Ordnung :D


Nach der Schule begleitete mich Sweta zum Zahnarzt, da Xjuscha mit Sascha verabredet war. Die Zahnärztin versiegelte noch einmal den Zahn und meinte ich solle noch einmal nächsten Dienstag vorbei kommen. Die sagte sie ungefähr folgender maßen:
„Kannst du nächste Woche Dienstag wieder kommen?“
Schweigen. Ich dachte: Haste Zeit oder nicht? Sie sieht mich an und bemerkt meinen denkenden Blick:
„Dienstag. D-i-e-n-s-t-a-g. Morgen ist Freitag. Danach Wochenende, dann Monat und dann D-i-e-n-s-t-a-g….“
„Jaja, ich weis doch, was Dienstag bedeutet. Ich überlege nur ob ich Zeit habe oder nicht“ Entgegnete ich mit einem grinsen.
„Oh! Du kannst wirklich sehr gut Russisch!“
Sweta konnte sich ein kurzes Auflachen nicht verkeifen.

Dascha ging am Freitag nicht in den Kindergarten, da das Thermometer –27°C anzeigte. Das Mütterchen blieb mit ihr im russischen Heim.

Am Samstag traf mich gleich zweimal der Schlag: Am Morgen betrug die Außentemperatur –30°C! Xjuscha und ich sind hart im nehmen und stapften zur Bushaltestelle. Dort sah ich mehrere Frauen im Rock – na ja mit knielangen Absatzstiefeln und Strumpfhosen kann man auch bei – 30 Grad einen Rock tragen…
Hier mal ein Foto von Xjuschas eingefrosteten Haaren.






Ein Vorteil hat die Kälte: Im Trolleybus sind Sitzplätze frei, da viele Schüler nicht zu Schule gehen (ab Temperaturen um –30 Grad entscheiden das die Eltern, bei jüngeren Kindern ab Temperaturen um –25°C). Übrigens habe ich seit mehr als 10 Tagen immer einen Sitzplatz im Trolleybus - ein Wunder!

In der Schule folgte Schlag Nummer zwei: ein Sportlehrer und eine Sportlehrerin waren angetrunken! Sie waren nicht besoffen- aber angetrunken! Man meinte zu mir, dass dies beim Sportlehrer in Kombination mit kalten Temperaturen durchaus vorkomme…. ob das ein sonderlich gutes Bild für „die Kommission“ gibt…?

In der Schule ist es übrigens auch nicht sonderlich warm. Ich bin froh mit vor einiger Zeit mal einen dicken, gestrickten Rollkragenpulli geleistet zu haben. Anton sprach mir heute aus der Seele, als in die Luft blies, kurz inne hielt und den Vorgang mit: „Gut, man kann den Atem noch nicht sehen!“ kommentierte. Mittlerweile sind die inneren Fenster der Doppelfenster mit einer leichten Eisblumenschicht überzogen.

Nach der Schule schneiten Xjuscha und ich noch bei einem Lebensmittelgeschäft vorbei, um Einkäufe zu erledigen. Dort sah ich ernsthaft Glühwein im Angebot! Beweisfotos:




Am Abend sagte der Wetterbericht bereits für Sonntag –10°C an. Und noch etwas anders: Könnt ihr euch noch an die Waldbrände im Sommer in Russland aufgrund der Hitze erinnern? Diese waren ca . 500 Kilometer von hier entfernt- zu Deutsch: Der Wetterbericht sagte voraus, dass sich Temperaturen von 40 Grad wiederholen könnten. Sascha kommentierte meine Befürchtungen eines erneuten Waldbrandes mit: „Und wenn schon- wenn dein Flugzeug abstürzt kannst du bei „Lost“ mitspielen…“ Zum Glück bin ich ein Freund des Sarkasmus…

Liebste, eisige Grüße

Lotte

Fazit: „Es gibt Vorteile, welche sich bewahrheiten (bezügl. Alkoholkonsum) und wieder die sich als nicht wahrheitsgemäß herausstellen (bezügl. Arzt).



PS.: Hier noch ein Bild von Jungs, welche in der Pause Egoshooterspiele auf den Computern des Computerkabinetts spielen...Sachen gibts...



2 Kommentare:

  1. Hey, wie cool, du kennst Clemens und Sophia!
    Die beiden gehen auf meine Schule und Clemens und ich kennen uns schon ewig. Um ehrlich zu sein, hatte ich wegen Clemenss Erzählungen n bisschen Schiss.. Weil er es ja nicht toll findet!
    Und ich finde das passt gar nicht zu ihm, dass er nicht aus sich raus kommt !?
    Komisch..
    Naja, liebe Grüße :)

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  2. Ja, Clemens scheint nicht so viel Glück gehabt zu haben mit seiner Gastfamilie- aber tauschen will er auch nicht...Eigeninitiative ergreift er ebenfalls nicht. Ich kenn ihn ja nicht so gut, aber es scheint als hätte er von Anfang an nicht wirklich nach Russland gewollt. Wenn man sich nicht sicher ist, sollte man es lieber lassen, denn sonst wird man nur unglücklich...
    :)

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