Dienstag, 29. März 2011

*kratsch*

An einem Ferientag quälten Xjuscha und ich uns um sechs aus dem Bett. Mit dem Trolleybus fuhren wir zum Bahnhof, wo wir uns um acht mit den übrigen Mädels treffen würden. Kurz vor acht kamen wir am Bahnhof an. Als die übrigen Mädels eintrafen, setzen wir uns in die Marschrutka und fuhren los. Während der Fahrt erklärte mir Xjuscha, dass die Mädels (welche sie aus der Schule kennt) nur zum Shoppen nach Kazan fahren wollen. Sie meinte aber, dass wir uns bestimmt problemlos abseilen könnten, um die Stadt zu erkunden. Noch während der Fahrt bezahlten wir den Fahrer. Jeder gab 500 Rubel. Das war übrigens auch der Grund, warum die anderen noch Mitfahrer suchten, denn je mehr mitfahren, desto günstiger wird es. Ich hatte mich zuvor etwas über Reisekosten informiert. Zug oder Bus währen nicht viel billiger gewesen aber länger gefahren. Der unschlagbare Vorteil unserer gemieteten Marschrutka war, dass keine Haltestellen berücksichtigt werden mussten und natürlich auch dass es etwas komfortabler ist, als in einem vollgestopften Bus durch die Gegend zu zuckeln. Um 11 waren wir bereits am Ziel- wirklich schnell! Es stellte sich allerdings heraus, dass das Einkaufszentrum etwas außerhalb der Stadt liegt, wodurch Xjuscha und ich den Gedanken allein eine Millionenstadt zu erkunden verwarfen. (Info: Kazan ist die Hauptstadt der russischen Republik Tartastan. Dort leben ca. 1mio Einwohner. Das Urvölkchen dort sind die Tartaren, somit ist hier die zweite Sprache neben Russisch nicht Tschuwaschisch sondern Tatarisch.) Um 6 würden wir uns wieder an der Marschrutka treffen- also 7 Stunden zum shoppen!! Hilfe. Xjuscha und ich zogen los. Die Art wie Xjuscha shoppt… das könnte man in ein Witzbuch bezüglich weiblicher Angewohnheiten schreiben: Wir drehten die erste Runde, wählten Kleidungsstücke aus, probierten sie an. Ich wurde schnell fündig und kaufte mir ein paar preiswerte Shorts. Xjuscha kaufte nichts und erklärte sie müsse erst das Sortiment der anderen Geschäfte erkunden und dann vergleichen. Wir drehten die zweite Runde. Ich hatte nicht vor noch mehr Kleidung zu kaufen. Die Preise sind mir einfach zu hoch, da kaufe ich lieber in Deutschland ein. Xjuscha probierte die selben Kleidungsstücke an, welche sie die Runde zuvor anprobiert hatte. Sie stand lange vor dem Spiegel, zupfte die Kleidung in Form und betrachtete sich skeptisch. Wir drehten die dritte Runde. Meine Aufmerksamkeit richtete ich mittlerweile auf mögliche Mitbringsel für meine Verwandten- und wirklich: Ich kaufte ganz geheime Sachen für ganz geheime Menschen (währe ja noch schöner, wenn ich euch jetzt schon verrate, was ihr bekommt. hihi!). Xjuscha hingegen hatte immer noch nichts gekauft, allerdings ging sie in einige Läden nicht mehr hinein, womit sich ihr Auswahlkreis schon etwas verkleinerte. Nach der vierten Runde, welche wir durch das riesige Kaufhaus drehten, kaufte sie endlich ein grünes, schlichtes Top. Meine Füße waren mittlerweile platt und ich bat sie erst einmal eine Pause zu machen, um etwas zu essen. Sie willigte ein. Runde fünf und sechs watschelte ich mit meinen platten Füßen hinter Xjuscha her und versuchte meine gute Laune zu behalten, denn sie probierte wieder die selben Sachen an und musterte sich mit dem selben skeptischen Blick. Um sechs saßen wir fix und alle in der Marschrutka. Xjuscha hatte noch eine Bluse, Bilderrahmen und ein Hemd gekauft. Auf dem Rückweg kamen wir in einen Stau, sodass wir erst um 11 in Cheboksary waren. Gegen 12 lagen wir endlich in unseren kuscheligweichen Betten. Ich stellte meinen Wecker auf 4:30Uhr, denn am nächsten Tag musste ich um 6 Uhr an der Schule sein, um nach Nischni Nowgorod zu fahren. Es war ein schöner Tag. Leise tapste ich am Morgen des 28.3. durch die Wohnung, um meine sieben Sachen für die Exkursion zu packen. Als ich auf die menschenleere Straße trat, ging bereits die Sonne auf und obwohl ich nur vier Stunden Schlaf hatte war ich putz munter. Pünktlich um sechs war ich an der Schule und bereits eine viertel Stunde später begann unsere Reise. Wir waren insgesamt ca. 50 Menschlein (Lehrer, Eltern, Schüler der 6. und 7. Klasse). Ich wurde neben ein mir völlig unbekanntes Mädchen gesetzt. Wir freundeten uns recht schnell an. Sie heißt Katja, besucht die 7. Klasse und interessiert sich sehr für Malerei ( während der Fahrt las sie ein Buch über Monet). Ich schloss die Augen und versuchte etwas zu schlafen. Ein eklig hohes Kratschen ließ mich meine Augen wieder aufschlagen. Eine Frauenstimme meldete sich zu Wort. Unsere Reiseführerin. Sie meinte sie würde nur kurz etwas zu Tscheboksary und der Geschichte der Tschuwaschischen Republik erzählen und danach könnten wir schlafen. Wir hörten also zu, während das Mikrofon weiterhin eklig kratschte. Zunächst war es sehr interessant ihr zuzuhören, doch dann wurde es immer anstrengender. Sie schien die gesamte tschuwaschische Geschichte auswendig zu wissen und jedes noch so kleine Detail erzählte sie. Nach einer Stunde verstummte das Kratschen des Mikrofons und auch die Stimme der Frau. Endlich. Schlafen. Nach ungefähr einer viertel Stunde erklang wieder die Reiseführerin: „So jetzt für alle, die nicht schlafen: Rechts sehen wir eine Pferdezucht…“ Hilflos blickte mich meine Sitznachbarin an- auch sie wollte schlafen. Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile nicht mehr müde war, allerdings auch nicht sonderlich interessiert an der Geschichte von Pferdezuchten und so schlug ich „Garri Potter“ auf, um etwas zu lesen. Es ging nicht. Der nervtötende Ton des Mikrofons und die unermüdliche Stimme der Frau ließen es nicht zu sich auf den Text zu konzentrieren. Nach einer weiteren halben Stunde beratschlagten meine Sitznachbarn und ich uns, wie man sie am besten zum schweigen bringen könnte- einige sahen wirklich furchtbar müde aus. Angeregt quatschten wir . Der Reiseführerin fiel die zunehmende Lautstärke im Bus auf und meinte schließlich: „Kinder, ich weiß es mag euch nicht interessieren, aber ihr könnt schon etwas leiser reden! Immerhin reist heute mit uns Charlotte R., aus Deutschland! Und für sie ist das sehr interessant!“ Mich traf der Schlag. Instinktiv rutschte ich etwas tiefer in meinen Sessel. Katja sah mich grinsend an: „Du hast mein Mitgefühl!“ Nach fünf Stunden Fahrt, welche durch das ununterbrochene Gerede der Reiseführerin begleitet wurden, waren wir am ersten Ziel angekommen: dem Kreml Nischni Nowgorods. Diese Anlage diente einst zur Verteidigung und besteht aus 13 runden und eckigen Türmen. Jeder Turm hat eine Bezeichnung, so heißt z.B.: ein Turm: „der Tragjochturm“. Zur Namensentstehung gibt eine schaurige Legende: Unter dem Turm soll eine Frau begraben liegen, welche zur Grundsteinlegung des Turmes geopfert wurde. Da sie eigentlich auf dem Weg zu Wolga war, um Wasser zu hohlen (also mit Tragjoch), erhielt der Turm diesen Namen. Wir machten einen kleinen Rundgang. Denkmal Valerii Tschkalows. Die Wolga (nicht nur das blaue) Ich- im Hintergrund: die Wolga. Dies war- soweit ich das verstanden habe- das Haus des Gouverneurs. Heute befindet sich darin ein Kunstmuseum. Turm und Mauer Turm und ich
Eine Ausstellung der Fahrzeuge im zweiten Weltkrieg.



Ein Schild weckte meine Aumerksamkeit:

"Wnimanie: awtomatitscheskii schlagbaum"

"Achtung: automatische Schranke"


Die Philharmonie.



Die Erzengelkathedrale mit Denkmal der Stadtgründer.


Denkmal. Fürst Juri Wsewolowitsch (Standgründer) und sein Lehrer Sischon (wenn ich die Denkmalunterschrift richtig verstanden habe).


Ausblick auf die Wolga und Kremlmauern.




Die Erzengelkirche mit ewigem Feuer (zur Erinnerung an den zweiten Weltkrieg). Übrigens war die Kirche eine der ersten Sakralgebäude Russlands.




Der Minin- und Poscharski Obelisk war das erste Denkmal Nischni Nowgorods.




Wir fuhren weiter. Nächstes Ziel: das Haus Gorkis. Die Reiseführerin erklärte uns, dass Maxim Groki unter armen Verhältnissen lebte. Sein Vater verstarb früh, weshalb er zu seinem Großvater zog. Das Haus, welches wir besichtigen würden, war das Haus des Großvaters. Das Gebäude ist noch vollständig im Urzustand erhalten. Zu meinem großen Bedauern war fotografieren nicht erlaubt- ein Jammer!

Wir gingen in das kleine rote Holzhaus und fanden uns in einem kleinen, niedrigen Raum wieder. Die Wände waren mit einer Handgemalten Blümchentapete verziert, den Boden verkleideten rote Holzdielen. Der Museumsführer hieß uns freundlich willkommen. Wir gingen weiter in die Küche- ebenfalls klein und niedrig. In der Mitte stand ein großer, weißer russischer Backofen. Am Fenster rechts vom Backofen befand sich ein gedeckter Holztisch. Rechter Hand vom Tisch standen Holzbänke, eine alte, schwere Holztruhe, Kleidungsstücke und eine Gitarre. Am anderen Ende des Zimmers war eine Tür. Rechts neben der Tür: ein Regal mit Geschirr. Insgesamt ein gemütliches Zimmer, welches mich sehr an meinen Besuch im Dorf erinnerte. Es hatte wieder etwas von einer Zeitreise, nur das diese dieses mal Absicht war. Der Museumsführer machte die Zeitreise perfekt, indem er das damalige Leben anschaulich schilderte. Er erklärte die Platzverteilung am Esstisch, die Gestaltung der Abende, Familienrituale usw. . Auch die übrigens Zimmer (der Großmutter, des Großvaters und der Mutter) schilderte er nicht minder interessant. Ein wirklich wunderbares Museum und sehr empfehlenswert- wobei ich nicht weiß, ob sie die Touren auch auf Englisch anbieten. (Übrigens: „gorki“ = „bitter“)


So ganz ohne Foto wollte ich dann doch nicht gehen und knipste das niedliche Häuschen wenigstens von Außen.





Häuser der Nachbarschaft.









Wieder setzen wir uns in den Bus und fuhren ein kleines Stück weiter. Nächstes Ziel: Prokowskaja Straße. Diese Fußgängerzone ist wohl die schönste Straße der Stadt- wobei ich das nicht eindeutig sagen kann, da ich einfach zu wenig gesehen habe. Wir bekamen ein wenig Freizeit, um durch Geschäfte zu bummeln und etwas zu essen, bevor wir die Rückreise antraten.










Das ist übrigens das Bankgebäude.





Schade, dass ich nicht mehr von Nischni Nowgorod gesehen habe- die Stadt ist einfach schön! Im Bus unterhielt ich mich mit Katja über die eindrücke des Tages, wobei ich euch die Sensation des Tages vorenthalten habe : +5 Grad! Es war richtig warm!




Während der Fahrt fotografierte ich noch etwas. Hier ein Schnappschuss: In Nischni Nowgorod trifft Historie (altes Haus) auf Neues (Hochhaus)




Außerdem noch ein paar niedliche Häuschen ... zufällig habe ich das selbe Haus wieder geknipst, welches ich das letze mal schon fotografierte- nur das diesmal keine Mütterchen davor saßen.(zweites Bild)






Naja, egal… jedenfalls hofften wir alle die Reiseführerin würde uns wenigstens auf der Rückreise mit ach so interessanten Geschichten verschonen. Doch da kratschte bereits das Mikrofon. Sie fasste den Tag zusammen und widmete sich wieder ihrer Tätigkeit die Gebäude zu beiden Seiten der Straße zu erörtern: „Oh, und das ist das Haus meiner Eltern…“ Als ihr der Gesprächsstoff ausging schlug sie vor Lieder zu singen, doch als keiner fröhlich: „Jaaa, lasst uns Lieder singen!“ rief, verstummte sie. Ich las (mittlerweile schon Seite 414). Um neun waren wir wieder an der Schule und ich machte mich auf den Weg zu meinem russischen Heim.

Während ich in Nischni Nowgorod war, feierte meine Gastfamilie den Geburtstag der „Oma“ und ihrer Mutter, denn beide hatten an diesem Tag Geburtstag. Ich lief ihnen noch zufällig über den Weg, gratulierte und überreichte mein Geschenk. Beide freuten sich riesig und schickten mich schnell weiter, denn schließlich war es mittlerweile kalt geworden und in der Wohnung warteten übriggebliebene Pirogen auf mich. Grüße aus der Ferne


Lotte


Noch ein besonderer Gruß an meine Oma, welche am 27. Geburtstag hatte. Ich wünsche dir nachträglich alles Gute und hoffe ihr hattet einen schönen Tag in Erfurt.

2 Kommentare:

  1. hallo nochmal,
    dieser blog hat mir sehr gut gefallen :)
    *gorki=bitter

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  2. Danke :) Und auch danke für den Hinweis- ich war da wohl etwas unkonzentriert. Kislyi ist sauer...

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