Donnerstag, 2. Dezember 2010

frostig erstrahlendes Gold...

„Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ stand am Freitag auf dem Programm. Der Film war erst kürzlich in die Kinos gekommen und veranlasste uns besagten Ort aufzusuchen.
Zuvor lernte ich extra Vokabeln wie: Flohpulver, Zauberstab, Hermine (auf russisch Germione), Horkrox, Todesser und, und, und- schließlich sollte mein Verständnis nicht an diesen alltagstuntypischen Vokabeln scheitern.
Lera, Ksjoscha, Lisa und ich sahen uns also den Film an.
Ein wunderbarer Film- zumal ich die Handlung verstanden habe- sogar Witze habe ich diesmal verstehen können! Einen Lerneffekt hatte die Sache auch, denn ich glaube ich werde für meinen Lebtag nicht vergessen, dass „Todesser“ „poschirateli smerti“ auf russisch heißen…wann auch immer ich diese Vokabel gebrauchen werde…

Ksjoscha und ich besuchten am Samstag ihre Oma, welche ich bisher noch nicht kennen gelernt habe (die Mutter von Ksjoschas Vater). Sie wohnt allein in einer Wohnung, welche sich über der Wohnung von Ksjoschas Vater befindet. Sie ist eine kleine, gutmütige und fitte Frau, welche sich sehr über unseren Besuch freute.
Zunächst unterhielten sich meine Gastschwester und sie über kürzlich geschehene Ereignisse, doch schließlich stellte sie die, von mir bereits erwartete, Frage: „Wie gefällt es dir denn bei uns in Tscheboksary? Wie gefällt dir Russland?“ Ich erwiderte (wie immer): „Es gefällt mir hier sehr gut und ich liebe Russland. Es ist schwer zu erklären warum, aber es ist so.“ Ihre Augen vergrößerten sich. Staunend sah sie Ksjoscha an: „Die kann aber gut russisch!“ Ksjoscha und ich grinsten uns an. Ich erwiderte begründend: „Immerhin lebe ich fast 3 Monate hier, da sollte das auch so sein!“ Sie lächelte und begann uns von früheren Zeiten zu erzählen und Fotos zu zeigen.
Nach etwa einer Stunde verließen wir „die Gutmütige“ und gingen die Treppe hinunter zur Wohnung ihres Sohnes- Ksjoschas Vater. Mit ihm fuhren wir zur „Mega Moll“, um für Ksjoscha den langersehnten Fotoapparat, anlässlich ihres Geburtstages am Montag, zu kaufen. Allerdings fuhren wir nicht in irgend einem Transportmittel zu besagtem Einkaufszentrum- wir fuhren in einem Auto! Oh, unbeschreiblich langvermisster Luxus! Oh, wunderbares Schnurren des Motors und komfortable Sitzmöglichkeit! Wie habe ich euch vermisst! Nein, mal ganz im Ernst: Ein Auto ist wunderbarer Luxus- wie immer erst dann erkannt, wenn er durch Abwesenheit glänzt.
Er kaufte ihr einen roten Fotoapparat für ca. 100 Euro und dann noch Fotochip… irgendwie ein sehr kostspieliges Geburtstagsgeschenk…oder nicht?

Der Sonntag war vollgestopft mit Hausaufgaben. Vier kleine Aufsätze sollten in englisch geschrieben werden und ein Text in russisch (zum Thema: „Blick aus dem Fenster an einem anderen Ort). Während ich brav vor mich hin schriebselte, ging meine Gastfamilie eine neue Deckenlampe für das Wohnzimmer einkaufen.


Wir schreiben den 29.11.2010 – 0:00 Uhr- ich bin wach und das nicht, weil ich schlafen langweilig finde, sondern um Ksjoscha zum Geburttag zu gratulieren.
Ihr Geburtstag ist am 29. und sie wurde 16 Jahre alt. An dieser Stelle erfahrt auch ihr endlich, welches Geschenk ich damals zusammen mit Natascha in der „Mega Moll“ kaufte. Eine Kette. Ksjoscha hatte sich diese eigentlich kaufen wollen als wir mal shoppen waren, aber sie investierte ihr Geld lieber in einen warmen Pulli. Als sie ein anderes mal besagtes Schmuckstück kaufen wollte, gab es die Kette nicht mehr- zum Glück ;-). Tja, eben nur der frühe Vogel fängt den Wurm und ich in dem Fall eine begeisterte Umarmung. Als ich dann noch eine Schachtel „I love Milka“ (noch aus Deutschland) hervorzauberte, kreierte ich - glaube ich - einen der schönsten Gründe mitten in der Nacht geweckt zu werden.
Am Morgen gratulierten ihr Mutter und Schwester. Die richtige Feier würde am Samstag stattfinden.
Sascha besuchte Ksjoscha an diesem besonderen Morgen- er schenkte einen goldenen Kettenanhänger und einen riesigen Blumenstrauß. Sie fuhren gemeinsam zur Schule, während ich mir verpennt und im Schlafanzug einen heißen Tee eingoss- Montags habe ich eine Stunde später.
Ich stapfte durch den Schnee und beobachtete fasziniert Frauen in kurzen Röcken und Absatzstiefeln, wie sie über das Glatteis und die furchtbar unebenen Wege schwebten, als wäre es das Leichteste von der Welt. Abgeseh'n davon: -10°C und Rock??!
In der Schule begrüßte mich grinsend Nastja (mit welcher ich einst Scharlottka buk). Sie meinte: "Mein Bruder hatte gestern Geburtstag und hat viel Süßes geschenkt bekommen. Ich soll dir „Rulada“ geben.“ Rulada ist das göttliche, schokoladige tschuwaschische Konfekt, welches ich zum Fressen gern habe- und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bedankte mich und ließ Geburtstagsgrüße ausrichten. Es ist faszinierend, wie gastfreundlich die Menschen hier sind - schließlich kennt mich Nastjas Bruder nicht einmal. Nastja hat nur erzählt, dass ich „Rulada“ mag.

Seit etwas mehr als einer Woche ist nun Winter bei mir in Tscheboksary. Nur etwas mehr als eine Woche brauchte es, damit es –20°C kalt wird!
Ksjoscha und ich stapften zum Trolleybus. An der 10 Minuten Fußmarsch entfernten Haltestelle machte sie mich auf etwas aufmerksam. Weiße Haare. Durch den Feuchtigkeitsanteil im menschlichen Atem frosten die Haare an (eine Art Raureif), wenn man normal atmet und der Atem dabei auf die Haare trifft. Auch mein Schal war etwas weiß an der Stelle, an welcher ihn mein Atem streift.
Im Trolleybus die nächste Überraschung. Diesmal keine beschlagenen Scheiben oder ein paar Eisblümchen, nein- zugefroren! Der Bus bildet damit nun eine geschlossene, zugestopfte Kapsel, von deren Gedränge man sich nicht einmal mehr durch den Blick auf die Straße ablenken kann. Dennoch bleibt der Platz am hinteren Fenster der Kapsel mein Lieblingsplatz. Die Struktur der weißen, undurchsichtigen Eisblumen, welche das ganze Fenster bedeckt, ist faszinierend…. Und unbeschreiblich schön, wenn die Morgensonne sie in einem goldenem Licht erstrahlen lassen- es hat etwas von frostig erstrahlendem Gold.

Ich in Winterkleidung....aufgrund der Temperaturen erscheint mein Grinsen etwas erfroren...


Nach der Schule lud Ksjoscha ein paar Freunde ins Kino ein (zur Feier ihres Geburtstages). Der neue Kinofilm „Rapunzel“ stand auf dem Programm. Ich verstand wieder die Handlung des Filmes- wenn natürlich nicht jedes Gespräch im Einzelnen.
Anschließend gingen wir ins Mc Donalds. Wir nahmen den kürzeren Weg- am Ufer der Wolga. Wir hätten es nicht tun sollen. Der Wind wehte heftig, Die Schneeflocken fielen nicht länger senkrecht, sondern waagerecht und peitschten ins Gesicht. Mit den Schals ums Gesicht gewickelt stapften wir voran. Timur meinte irgendwann: „Na, wie gefällt dir unser strenger, russischer Winter?“ Ich dachte an den deutschen Winter… Schnee fällt und hüllt alles in ein weißes Kleid aus Stille…hellerleuchtete Vorgartentännchen, geschmückte Fenster… Aber im Windschatten der Hochhäuser hier stürmt es nicht so sehr und ist damit durchaus ertragbar.


Am Mittwoch hätte ich in Deutschland mein erstes Adventskalender-Türchen freudestrahlend öffnen können. Aber ich bin nun mal in Russland, weshalb mir stattdessen meine Russischlehrerin zum Erlebnis des russischen Winters gratulierte. Ganz am Rande: Temperatur am Mittwoch: -24°C
Meine Algebralehrerin erkundigte sich am Donnerstag besorgt nach meinem Befinden, aufgrund der niedrigen Temperaturen. Aber ich bin stolzer Besitzer von warmen Stiefeln und einer dicken Jacke- nur im Gesicht ist die Kälte schmerzlich spürbar.
In der Schule lassen jetzt einige sogar ihre Jacken an- wenn auch geöffnet. Ich gehöre –noch- nicht zu diesen.

Fazit: „Meine gekaufte Kleidung hält, was sie verspricht- Temperaturen bis –24°C sind schon mal kein Problem.“


Hier noch ein zugefrorenes Fenster in der Schule ( nur selten sind die Fenster zugefroren- wenn überhaupt dann in den kalten Korridoren)


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