Samstag, 11. Juni 2011

Ein Hauch von Ewigkeit....

Mit dem ersten Juni war es soweit: offizieller Ferienbeginn- mal abgesehen von 9.und 11. Klassen, welche gezwungenermaßen Examen ablegen müssen, und mir, welche im Schulferienlager hilft. Wie es dazu kam? Ich hatte keine Lust den gesamten Juni gelangweilt in meinem russischen Heim zu sitzen, weshalb mir meine Gastmutter schließlich vorschlug, beim Ferienlager auszuhelfen. Auf diese Art und Weise würde ich noch ein paar Museen, Sehenswürdigkeiten - im allgemeinen Tscheboksary - besser kennen lernen.
Und so fand ich mich, gegen 8 Uhr, am ersten offiziellen Ferientag im Trolleybus Nummer 1 auf dem Weg zur Schule wieder.
In der Schule angekommen, wurde ich in die 1. Abteilung des Schulferienlagers eingeteilt. Hier würde ich nun bis zu meiner Abreise freiwillig und unbezahlt die Rolle eines Erziehers erfüllen.
Insgesamt gibt es 5 Abteilungen mit jeweils ca. 30 Schülern. Zunächst dachte sich jede Gruppe einen Namen aus. Meine Gruppe heißt „NLO“ („UFO“), anschließend überlegten wir uns noch ein kleines Sprüchlein, passend zum Gruppennamen. Beides - Name und Sprüchlein - werden jeden Tag bei der Morgenversammlung auf dem Schulinnenhof aufgesagt, zusätzlich wird noch über die Zahl der anwesenden „Kosmonauten“ Auskunft gegeben. Anschließend folgt Morgengymnastik (Gott sei Dank nur für die Kleinen) und Frühstück. Nach dem Essen sind Ausflüge an der Reihe. So waren wir in zwei verschiedenen Theatergebäuden, auf einem Kinderfest, im Kinderspielpark und in Museen. Ich scheine mich ziemlich gut zu machen, denn ab und zu bekomme ich Lob der „echten“ Erzieher zu hören und man schlug mir vor, die Berufsrichtung „Pädagoge“ bzw. „Lehrer“ einzuschlagen. Doch ich glaube mir reicht die Erfahrung, einen Monat auf einen Haufen Kinder der zweiten Klasse aufzupassen, für den Rest meines Lebens…

Wie ich bereits erwähnte: seit mein Gastvater da ist, ist hier permanent was los. Ich komme kaum noch hinterher mit Blog schreiben. Von Morgens um 7 bis Nachmittags um 3 bin ich im Ferienlager und anschließend unternehmen wir meist etwas. Das Wunderbare ist, dass mein Gastvater stolzer Besitzer eines Autos (Hyundai Landrover) ist und ich dadurch Tscheboksarys Straßen auch mal aus einer anderen Perspektive, nicht nur als Fußgänger oder Bus(mit)fahrer kennen lerne.
Bemerkenswertes?

1. Nur die Passagiere auf den vorderen Plätzen müssen sich anschnallen - auf den billigen Plätzen herrscht keine Anschnallpflicht.

2. Die Art Auto zu fahren erinnert mich an den Urlaub in Italien. Habt ihr schon mal italienische Autofahrer erlebt? Jeder fährt wie er will und flucht was das Zeug hält. Das selbe hier. ZB.:
Wir fahren im Auto, wollen wenden. Straßenbild: Wir stehen auf einer geraden Straße. Links ein Parkplatz( unsere Wendemöglichkeit). Auf besagtem Parkplatz ein weiterer Autofahrer, welcher uns den Wendeplatz versperrt. Ringsum: Wiese. Mein Gastvater fragt ihn mit Armgefuchtel durch die Windschutzscheibe, wohin er gedenkt zu fahren, damit wir wenden können. Autofahrer symbolisiert: geradeaus. Geradeaus ist aber Wiese. Wir denken, dass er scherzt, da die einzige Straße, welche mit dem Parkplatz verbunden ist, jene ist, auf welcher wir stehen. Mein Gastvater fährt also ein Stück zurück um Platz zu machen. Und dann passiert es. Der andere Autofahrer (Jeep) latscht aufs Gas und brettert geradeaus über die Wiese bis zur nächsten Fahrbahn. Eh…ja… . Mein Gastvater grinste mich an und meinte: „Von so etwas kannst du dann zuhause berichten!“ – was ich dann hiermit auch getan hätte.

3. Fahrbahn. Es ist ja nun mittlerweile allseits bekannt, dass die Fahrbahnen in Russland zu wünschen übrig lassen, wobei ich sagen muss, dass es da auch Ausnahmen gibt. Allerdings sagte mir neulich mein Gastvater etwas – für mich- völlig Neues: Die Fahrbahnen werden teilweise absichtlich nicht ausgebessert. Grund?
- Man spart Geld
- Es gibt keine Raser - kein Autoliebhaber tut seinem Maschinchen Raserei über die Schlaglöcher an…
Gar nicht mal so unklug… ;-)

4. Polizei. Hach ja… die liebe Straßenpolizei. Neulich war ein Kumpel meines russischen Vaters zu Besuch, welcher als Lehrer an einer Polizeischule arbeitet. Irgendwie kamen wir auf das Thema Korruption in Russland und so berichtete er von einigen Vorfällen, wovon ich euch einen nicht vorenthalten will:
Zweispurige Straße. Eine Fahrbahn = Stau. Andere Fahrbahn (Fahrtrichtung entgegengesetzt) frei. Anstatt den Stau aufzulösen, steht die Polizei an der freien Fahrbahn und wartet, bis entnervte Autofahrer wenden - was an dieser Stelle untersagt ist. Und dann wird abkassiert. Nun könnte man sagen: Kommt doch eh dem Staat zu Gute. Nein, nicht in diesem Fall. Man kann hier verhandeln - in diesem Fall verhandelt man über die Bestechungssumme. Er meinte das komme öfter vor, sei eigentlich fast normal - wenn auch untersagt. Ich sah ihn fassungslos an, was ihn zum lachen brachte. Er begann zu erzählen, dass er mal 3 Jahre in Deutschland lebte:
Straßenbauarbeiten im Vergleich.
Er meinte in Russland trifft man irgendwann entweder auf ein kleines Schild, welches auf die bald folgende Straßenbaustelle hinweist oder sie steht dann einfach aus heiterem Himmel vor dir.
Mit einem Lachen meinte er: „In Deutschland ist das ganz anders. Bereits mehrere hundert Meter vor der eigentlichen Baustelle erscheinen riesige Warnhinweise, Blinkpfeile usw. Ich dacht mir so – was muss das für eine riesige Baustelle sein?! - Ich seh mich um, schaue und schaue, doch kann nichts sehen. Schließlich fahre ich an einer winzig kleinen Baustelle vorbei, wo man lediglich den Asphalt etwas ausgebessert hat.“ Ich musste lachen.

Vom 3.- 4. Juni waren wir wiedereinmal in einem süßen, kleinen russischen Märchendorf. Diesmal lag es nicht in der russischen Republik „Tschuwaschien“, sondern in „Mari El“. Übrigens spricht man dort – logischerweise - nicht Tschuwaschisch, sondern Mari.
Wir machten uns also auf dem Weg zum Geburtsdorf des Vaters meiner Gastmutter, welches den Namen „Nuschenaly“ trägt. Xjuschas Opa verbrachte seine gesamte Kindheit und seine Tochter fast jeden Sommer hier, dem zu Folge können beide fließend Mari - ganz im Gegensatz zu den übrigen Mitreisenden: Gastvater, Xjsucha, Daschul und ich.
Wir fuhren an Felder und Wiesen vorbei, durch andere Dörfer und jedes Mal dachte ich: Das ist es jetzt bestimmt! Doch jedes Mal meinte man: Nuschenaly ist noch kleiner. Dies wiederum wollte ich nicht glauben…
Und dann waren wir da. Mitten in der "Pampa". Nein, Pampa ist nicht der richtige Begriff, denn wenn ich ehrlich bin, finde ich das Dorf wunderschön und wäre am liebsten glatt eine Woche geblieben.
Wir befanden uns nun auf dem Hof, des Grundstücks der Frau des verstorbenen Bruders von Xjuschas Opa. Ich sah mich um. Zum knutschen: Ein altes Holzhaus, welches lediglich aus Küche, Stube und Flur bestand. Der gesamte Stolz der Küche: Ein echter Backofen!!
Weiter sah ich: Ein Banjahaus (Sauna), Stall und ein weiteres Holzhaus, worin wir übernachteten. Toilettenhäuschen. Zum Grundstück gehört auch ein Garten. Auf Leinen wehte frisch gewaschene Wäsche im Wind. Hühner rannten glucksend über den Hof.
Ich bat Xjuscha mir etwas die Gegend zu zeigen und so gingen wir etwas spazieren. Das Dorf verfügt über stolze zwei Straßen, welche allerdings eher als Feldweg zu bezeichnen sind. Zu beiden Seiten der Straßen sieht man ähnliche Gehöfte wie jenes, welches ich euch soeben beschrieb. Über den Feldweg rannten Hühner und Gänse.
Xjuscha zeigte mir den Brunnen, welcher zzt. kein Wasser führt. Ich fragte, woher man nun Wasser bekommen würde, denn schließlich ist hier fließend Wasser Fehlanzeige. Sie führte mich zu einem kleinen Bach, welcher in einem 10 min entfernten Tal plätscherte. Die Bewohner des Dorfes sind allerdings größtenteils bereits über 60, da die Jugend es vorzieht in der Stadt zu leben. Unvorstellbar, dass eine 60 jährige Oma schwere Wassereimer aus dem Tal hinaufhievt… Meine Gastmutter erzählte mir später voller Bedauern, dass früher hier buntes Treiben herrschte, sowohl Alt als auch Jung lebte hier - doch mittlerweile lebt hier nur noch Alt - Jung schaut nur in den Sommerferien vorbei.
Die Führung ging weiter und ich liess mich weiter verzaubern. Xjuscha meinte, dass das nächste Geschäft hier ca. eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt sei.
Wir blieben stehen und sahen hinab auf einen kleinen See. In der Nähe weideten Kühe, welche von einem Mütterchen bewacht wurden.
Am frühen Abend setzen wir uns auf die Bank vor unserem Häuschen. Bald kamen einige Dorfanwohner hinzu, welche sich sehr über den Besuch freuten. Mit großen Ohren lauschte ich Mari. Schon leicht frustrierend. Da kann ich nun halbwegs ordentlich Russisch und verstehe wieder nichts…
Bald darauf trieb das Mütterchen die Kühe von der Weide zu ihren Besitzern, auch Schafe wurden zurückgebracht. Dies sorgte einige Minuten für ein hektisches Treiben in dem so kleinen Dörfchen.
Während ich auf dieser Bank saß und dem Treiben zu sah, glaubte ich jegliches Zeitgefühl verloren zu haben und fühlte einfach nur Unbeschwertheit. Alles hatte einen Hauch von Ewigkeit... Ernsthaft: Wenn jemand über Stress im Alltag klagt und nicht weiß, wohin er seinen Entspannungsurlaub verlegen soll: Ich empfehle russisches Dörfchen.
Abends fanden wir uns in dem Häuschen zusammen. Wir aßen, quatschten und hätten sogar Karten gespielt, wenn wir nicht die Karten vergessen hätten. Nebenbei lief der Fernseher. Ja, ihr habt richtig gehört: fließend Wasser, Heizung = Fehlanzeige. Strom = Fernseher = selbstverständlich. Mich verwundert schon gar nichts mehr :D
Meine gesamte Gastfamilie und ich übernachteten also im Holzhäuschen nebenan - alle in einem Zimmer. Kein Problem. Augen zu. Gute Nacht. *ssssummm* (Summgeräusch) gegen 4:30 am Morgen wachten wir auf und jagten Mücken, welche immer mehr zu werden schienen. Irgendwann schliefen wir wieder ein. Gegen 6:15 hörte ich einen Hahn krähen. Märchenhaft.
Meine russische Mama stand bald auf und half Piroggen zu backen. Xjuscha und ich dümpelten noch in unseren Betten herum, bis wir uns schließlich an den Frühstückstisch (im anderen Haus) begaben. LECKER! Es ist unvergleichlich, wie lecker Piroggen schmecken, welche frisch in einem echten, steinernen Backofen gebacken wurden.
Ich war schon etwas traurig, als wir uns gegen Mittag auf den Rückweg machten.









Eine der beiden Straßen.



Kühlschrank. :D




Der Hund des Hauses. Er heißt "Malysch" = "Kleines".





Fernseher. Links Esstisch. Fernster mit blick auf die Staße. Rechts, hinter dem Vorhang ist die Küche. Ebenfalls in der Stube befindet sich das Bett der Hausherrin.



Backofen.



Händewacshen: Wasser in blaues Gefäß. Hände waschen. Wasser fließt in Topf unterm Waschbecken.




Einbruchssicher! :D








Brunnen.



Bächlein im Tal (da wo das Brett (=Brücke) liegt).





Die einzige Verwundunge für einen Heizkörper hier: Als Fußabtreter vor der Haustür.




Ein wenig Hektik. :)





Muh!









Am 5. Juni hatte mein Gastvater Geburtstag. Übrigens, habe ich etwas bemerkenswertes festgestellt: Meine Gastmutter hat im selben Monat Geburtstag, wie meine Mama und mein Gastvater im selben, wie mein Papa. Sachen gibt’s…
Wie gesagt: Mein Gastvater hatte Geburtstag und ich war kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Er hatte zwar ebenfalls gesagt, dass man nichts schenken müsse, aber dennoch fand ich es angebracht, da alle Pakete meiner Verwandtschaft nur mit Aufmerksamkeiten für den weiblichen Teil meiner Gastfamilie bedacht waren. Ich zermarterte mir das Hirn. Der Mann scheint einfach alles zu haben. Aber dann fiel mir ein, dass er nicht oft seine Familie sieht und so beschloss ich einige Bilder von seiner kleinen Familie und vor allem von klein Daschenka entwickeln zu lassen. Er freute sich sehr über die gerahmten Erinnerungen.
Den gesamten Vormittag werkelten wir fleißig am Festessen. Ich buk diesmal übrigens Dresdner Eierschecke. Jammi.

Weiteres von meinem aufregendem Leben hier gibts im nächsten Blog.

Lottchen

Fazit: Ein Russe meint was er sagt. Wenn er sagt, er fährt geradeaus, dann fährt er geradeaus.

2 Kommentare:

  1. Huhu,

    hab den Blog interessiert verfolgt, weil ich auch einige Wochen im Jahr mittlerweile in Russland verbringe und das manchmal verblogge. Geht hier los: http://grex.is-lost.org/page/17/
    So ein paar Blüten haben mich auch an meine Erfahrungen erinnert, Stichwort Postämter und so ;)
    Nach Kazan und Umgebung hab' ichs aber noch nicht geschafft, wurde mir aber schon öfter empfohlen.

    Beste Grüße, Poka!

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  2. Hey
    Ich finde es echt faszinierend was du schreibst und auch, dass du die Disziplin hattest, dies so regelmässig und häufig zu tun. Ich habe deinen Blog vom Anfang bis zum Schluss gelesen, auch wenn ich ein paar Jahre später dran bin.
    Ich mach ab diesem Sommer (14/15) auch ein Austauschjahr nach Russland (weiss noch nicht wo hin genau) und hab mir von deinem Blog ein bisschen Inspiration für meinen geholt. ;)

    letstraveltorussia.blogspot.ch
    (Steht noch nicht viel drin, was sich aber noch ändern wird)

    Also, vielen Dank für die schönen Ausführungen, die mich in meiem Wunsch nach Russland zu gehen noch bestärkt haben.
    Lg
    Lara

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