Dienstag, 31. August 2010

Nun bin ich da

Ich bin in Russland.
Um halb fünf am Montag dem 30.08.2010 fuhren meine Familie und ich zum Flughafen Dresden. Von dort würde meine Reise beginnen. Noch immer realisierte ich nicht, dass ich für 11 Monate in einem fremden Land, bei fremden Leuten – weit weg von den Liebenden - leben würde. Am Flughafen angekommen, musste ich meine Familie verabschieden. Ich hatte mir vorgenommen nicht zu weinen. Ich verabschiedete mich also. Meit Vater sah gequält aus aber behielt die Fassung. Meine Mutter sah mich mit roten Augen an. Sie weinte - was nicht untypisch war, da man meine Mutter schon als zart beseeltes Wesen beschreiben kann. Beide umarmten mich und versicherten mich ihrer Liebe. Am schwersten fiel mir der Abschied von meiner Schwester. Sie weinte. Meine Schwester - die sonst alles lässig in die Tasche steckte - weinte. Ich musste mich zusammenreißen aber ich weinte nicht. Ich weinte erst als ich im Transitbereich allein war. Plötzlich auf mich gestellt.
Ich flog nach Frankfurt. Ich hatte einen Fensterplatz und sah ein letztes Mal mein vertrautes Radebeul. In Frankfurt angekommen, traf ich Freunde, welche auch ihr Austauschjahr in Cheboksary verbringen würden. Man unterhielt sich. Mein Gemüt hellte sich auf.
Beim nächsten Flug –von Frankfurt nach Moskau- hatte ich Pech mit meinem Platznachbarn. Es war ein Mann mittleren Alters, in Jogginghose, welcher furchtbar stark nach Schweiß roch. Meine Gesundheit war sowieso schon angeschlagen, da ich mir eine leichte Grippe eingefangen hatte. Perfekter Start in mein Austauschjahr….
In Moskau wurden wir von einer YFU- Freiwilligen empfangen und zum nächsten Flug begleitet. Diesmal saß ich neben meinen beiden Austauschlern. Aus der Luft war übrigens kein Anzeichen für die Torfbrände zu erkennen (siehe Bild welches Moskauer Umland zeigt)- aber ich schlief die meiste Zeit, da es mir nicht gut ging. Apropos Schlafen. Da ich auch auf dem Flug nach Moskau geschlafen habe, habe ich verpennt meine Migration-Card auszufüllen. Diese ist unbedingt notwendig - eine Art Visum. Ich stand also am Moskauer Flughafen und sah meine Freunde Ihre Migration-Card zücken. Ich sah sie mit großen Augen an. Zum Glück wurde ihnen eine zu viel mitgegeben, sodass ich kurz vor Passkontrolle noch schnell das wichtige Papier ausfüllen konnte.
Wir kamen an den Transitbereich. Dort hieß es Schuhe in eine Kiste legen. Und wie gewohnt Schmuck und Jacken. Ich glaube, dass ich anschließend von einem Nacktscanner durchleuchtet wurde, da ich in eine gläserne Kabine ging und ein Metallsensor in einer kreisförmigen Bewegung um mich herum fuhr.
Wir flogen weiter nach Kazan - eine Hochburg des muslimischen Glaubens in Russland. Dieser Flug erfolgte mit einer russischen Fluggesellschaft, wovon man zu unserer Überraschung nichs bemerkte - mal abgesehen von dem gelegentlichen Kratschen der Sprechanlage.
In Kazan wartete Ekaterina auf uns. Sie sprach perfekt Englisch, unser Glück. Auch zwei weitere Austauschler waren bei ihr. Eine weitere würde auch nachreisen. Also waren wir schon zu 6! Wir warteten auf unseren Fahrer, der uns nach Cheboksary bringen sollte. Während dessen wurden uns Tipps bezüglich dem Leben in Russland gegeben und ein YFU- Treffen in einer Woche angekündigt. Wir gingen hinaus. Es war kalt, 9°C. Ein komfortabler Kleinbus holte uns ab. Man gab uns Wurstbrötchen, die so stark nach Knoblauch rochen, dass sie keiner, außer einem Jungen, essen wollte. Denn keiner von uns wollte seine Gastfamilie mit einem besinnungsraubendem Atem gegenübertreten. Zusätzlich bekamen wir Wasser und jede Menge Süßkram. Wir machten das Licht aus und schliefen.
Nach einander wurde jeder zu seiner Gastfamilie gebracht. Ich war die Vorletzte. Ich stand plötzlich meiner Gastschwester Ksjoscha gegenüber. Ich habe bereits Bilder von ihr gesehen und mit ihr geschrieben. Aber als ich ihr gegenüberstand, musste ich staunen. Sie war klein. Klein und zierlich. Zweifelsohne sah sie aus wie auf den Bildern: lange braune Haare und ein rundes fast kindliches Gesicht. Auch sie sah mich erstaunt an, denn ich bin einen Kopf größer als sie. Ihr Vater begrüßte mich. Wir fuhren in einem teuer aussehenden Auto zu meinem zukünftigen Heim. Man redete schonungslos schnell russisch auf mich ein. Zu meiner Überraschung verstand ich trotz Kopf- und Halsschmerzen, trotz so später Stunde 80% von dem was sie sagten. Wir hielten in einem Neubaublock. 9- etagige Wohnungsriesen stachen in den klaren Nachthimmel.(Das Foto habe ich nachträglich gemacht. Im fünften Haus...also bei dem fünften "Knick" im Gemäuer wohne ich nun inder siebenten Etage). Wir betraten den Lift und fuhren zu meiner neuen Wohnung. Meine Gastmutter öffnete die Tür und wieder staunte ich nicht schlecht. Wieder kannte ich sie von Bildern, aber ich hatte mir eine russische, strenge und große Gastmutter vorgestellt. Auf dem Bild thronte sie in gebieterischer Haltung in einem weißen Pelz. Man sah viel Schminke in ihrem Gesicht und rote kurze Haare auf ihrem Kopf. Ihre Augen ließen Härte erkennen. Nun stand ich vor ihr. Ich blickte hinab. Sie war einen halben Kopf kleiner als ich. Auch sie sehr zierlich und der Inbegriff einer überfürsorglichen und lieben Mami. Man zeigte mir das Zimmer, welches ich mir mit Ksjoscha teilen würde. Klein. Zwei Betten, ein Regal, ein Schreibtisch und ein Fenster mit Blick auf die Hochhäuser. Die Wohnung an sich ist schön. Hellgelb gestrichen, aber kaum möbliert, da die Familie erst kürzlich umgezogen ist. Wir gingen schlafen – es war bereits 3 Uhr nachts- also bei euch war es um eins.

31.08.10 Dienstag

Ich wachte auf. Ich wachte von dem Lachen eines Kleinkindes auf. Dascha war also auch wach. Sie rannte laut lachend durch die Wohnung. Ihre Mutter schien zu kochen. Ksjoscha schlief noch- ich beschloss ein Weilchen liegen zu bleiben. Irgendwann stand ich dann doch auf und ging ins Bad. Ich hörte meine Gastmutter zu Dascha sagen: „Charlotte ist aufgestanden!“ Das Kleinkind quiekte, rannte in Ksjoschas Zimmer und brüllte: „AUFSTEHN!!“ Danach schnappte es sich ein Xylophon, hämmerte darauf herum und sang aus Leibeskräften irgend ein russisches Kinderlied. Anschließend rannte sie wieder durch die Wohnung und rief: „ Ich fliege mit dem Flugzeug weit fort!“ …vermutlich war dieser Satz von mir angeregt worden. Ich verließ das Bad und stand einem niedlichen kleinen Mädchen mit Pausbäckchen und langen, blonden Haaren gegenüber. Sie grinste vergnügt. Wir frühstückten. Es gab Blini (Eierkuchen) in Miniaturform und Cornflakes. Man fragte mich über mein Befinden und ich log- da ich immer noch krank bin.
Wir gingen spazieren. Ich sah eine typisch russische Stadt. Sechsspurige Straßen, schlechte Wege und Müll. Dennoch strahlt Cheboksary dabei einen gewissen Charme aus, da sich zwischen Wohnblöcken auch historische Kirchen befinden (siehe Fotos) und die Stadt im allgemeinen sehr grün ist.























Wir gingen zur Maniküre und zum Kontaktlinsenkauf. Letzteres erfolgte in einer Augenklinik. Sehr sauber und ordentlich- nicht, was ich aufgrund von Vorurteilen erwartet hatte. Auch die Ärztinnen boten einen ungewohnten Anblick. Make up, Liedschatten und Lippenstift- Absatzschuhe und Bluse. Dennoch so stilvoll kombiniert, dass alles durch den Arztkittel perfekt aussah. Danach kauften Ksjoscha und ich noch Brot und Milch ein.
Wieder in der Wohnung bezog ich meine Schrankfächer- wie es scheint, werde ich 11 Monate teils aus Schrank teils aus Koffer leben müssen. Ich verteilte die Gastgeschenke. Meine Gastmutter umarmte mich zum Dank für einen schwarzen Glitzerschal und Pralinen. Es war seltsam- vermutlich auch weil sie so klein ist. Meine Gastschwester freute sich sichtbar über die Lady Gaga CD. Aber am schönsten war die Reaktion Daschas. Ich schenkte ihr ein rosa Einhorn aus Stoff. Sie drückte es an sich, sagte schüchtern "Danke" und verschwand- nur um mit dem Einhorn durch die Wohnung zu rennen und eine Art russisches Galoppgeräusch von sich zu geben. Wir gingen noch einmal hinaus, diesmal um Ksjoschas Freunde im Stadtzentrum zu treffen. Wir fuhren mit einer „Marschrutka“ – ein Kleinbus. (siehe Foto) Ksjoschas Freundinnen trafen wir vor einem Mc Donalds. Wir aßen etwas und spielten Karten. In russischen Mc Donalds ist das Kartenspielen verboten, sodass der eigentliche Sinn beim Spiel darin bestand, nicht erwischt zu werden. Ihre Freundinnen sind ungefähr so groß wie ich und sehr dünn. Eine von ihnen hat ein grünes und ein braunes Auge- faszinierend. Wir gingen hinaus. Es ist noch immer ungewohnt kalt. 9°C. Wir gingen wieder spazieren- diesmal an der Wolga entlang. Ich sah russische Kirchen, Wohnblocks und ein Denkmal welches für die Mutter der Tschuwaschen steht (ich lebe in der russischen Republik Tschuwaschien).































Anschließend kaufte ich mir ein russisches Hausaufgabenheft welches sich ein bisschen vom deutschen unterscheidet. Meine ersten Ausgaben in Russland waren also einmal Pommes und Fanta und ein Hausaugabenheft.
Wieder in einer Marschrutka waren in Stöckelschuhen staksenden Frauen zu sehen, von denen die Meisten nur einen Joghurt am Tag zu essen scheinen.
Auf dem Weg zur Wohnung sah ich wie ein russisches Mütterchen neben der sechsspurigen Straße, auf der Wiese vor der Kirche, eine Kuh und mehrere Schafe weiden ließ - ein seltsamer Anblick.


In der Wohnung wurde mir Dima- Ksjoschas älterer Bruder - welcher studiert und nicht mehr zu hause lebt, vorgestellt. Ein sympathischer junger Mann, welcher furchtbar nuschelt. Aber trotz nur einem Tag Aufenthalt in Russland habe ich gelernt Mimik, Gestik und Wortbrocken zu einer richtigen Reaktion und Antwort zusammenzufügen. Er war begeistert von meinem Russisch und sehr an Deutschland interessiert. Mein Reisepass löste Begeisterung aus – vor allem das Entschlüsseln der fremden Buchstaben. Dima ging nach dem Abendbrot. Mittlerweile habe ich erfahren, dass Dascha aus einer zweiten Ehe meiner Gastmutter stammt und dass dieser Haushalt auch gänzlich ohne Männer funktioniert.
Gerade habe ich einen Art russischer Sandmann angeschaut. Sehr interessant- ich habe maximal 5 Worte verstanden- aber die Bilder sind schön bunt und das Gute-Nacht-Lied einschläfernd. Zudem ist die Uhrzeit von Interesse um welche diese Kindersendung ausgestrahlt wird. Denn jetzt ist es hier 20 Uhr.
Ich habe Ksjoscha erzählt, dass es in Deutschland nicht so üblich ist Absatzschuhe zu tragen- das erzählte sie ihrer Mutter. Kurz darauf kam Dascha quietschend vor Freude in Ksjoschas 8 cm Pumps zur Tür hinein gestolpert. Man erklärte mir das mache sie häufig.
Der Tag klingt nun langsam aus und ich bin gespannt auf Morgen. Am erstens September- dem ersten Schultag verschenkt man hier Blumen an Lehrer und putzt sich heraus. Alles sehr ungewohnt hier. Auch ein spezielles Programm soll auf mich warten- was auch immer das bedeutet.

Tagesfazit:

Ein Russland ohne herausgeputzte Frauen ist undenkbar.